Die Festung
sagte
er und erzählte weiter, wieder über Osman Vuk, was für ein Mensch, was für ein
Freund er sei, daß er mehrmals wiederholt habe, wie er sich freue, Mahmut
kennengelernt zu haben, daß sie einander auf beide Wangen geküßt hätten, auf
beide!
Während er in einem fort dasselbe
erzählte, erschien er mir immer seltsamer, immer trauriger. Sein Blick war nachdenklich,
die Stimme leise.
»Bist du müde?« fragte ich. »Oder
traurig?«
»Traurig? Was redest du? Warum
sollte ich traurig sein?«
»So etwas soll vorkommen nach einer
fröhlichen Feier.«
»Ja, ich weiß. Aber ich bin nicht
traurig.«
Er lachte sogar, um zu zeigen, wie
guter Stimmung er war, doch ohne Übergang berichtete er
sogleich, daß er am Morgen Osman zum Bairam hatte gratulieren wollen, jedoch
von den Knechten nicht vorgelassen worden war.
»Sagt Osman, daß Mahmut Neretljak
hier ist«, hatte er sie aufgefordert.
Ein Knecht war ins Haus gegangen und
bald zurückgekehrt.
»Osman ist nicht da«, hatte er
gesagt.
»Wieso nicht da? Ich höre doch seine
Stimme.«
»Nein, er ist nicht zu Hause.«
»Ihr seid unverschämt, ihr seid dies
und jenes«, hatte er sie wütend gescholten. »Und damit ihr es wißt, ich werde
Osman alles sagen. Soll er wissen, was für Knechte er hat, die seine Freunde
nicht einlassen.«
Umsonst, sie waren unerbittlich
geblieben. Sie hatten ihn sogar höhnisch angesehen, diese Schurken.
Er war vor dem Tor und auf der
Straße auf und ab spaziert, in der Hoffnung, Osman zu sehen, er war in der Morgenkühle
ganz steif geworden. Osman indes hatte sich nicht blicken lassen.
Gratulanten waren gekommen, die
Knechte hatten sie mit der Hand auf dem Herzen empfangen, er hatte Osmans
Stimme im Haus gehört, aber das war auch alles.
Dann hatte er es noch einmal
versucht und war davongejagt worden.
Nun endlich war er umgekehrt,
gekränkt über die Frechheit der Knechte.
Es tue ihm leid, Osman würde ihn für
unhöflich halten, glauben, er habe seinen Freund vergessen, aber was könne er
machen, er sei nicht schuld, er würde ihm alles erklären und um Verzeihung
bitten, dann würde er ihm wohl nicht böse sein.
Also hatte ich mich nicht getäuscht,
er war wirklich betrübt.
Er sah nicht, daß Osman ihn
fortgejagt hatte. Er wollte es nicht sehen.
Wollte er etwa sein Leben lang ein
Kind bleiben und die Freundschaft von Menschen erheischen, an die er nicht
heranreichte? Wir waren ihm nicht genug, unsere Armut erinnerte ihn unaufhörlich
an seine eigene. Der strahlende Osman, der Lebenskünstler, hatte bis
gestern für ihn nur ein Traum sein können. Gestern abend waren sie Freunde geworden.
Was war heute morgen geschehen? Er grübelte, überprüfte sein Gedächtnis, alles
war wirklich gewesen, nichts hatte er sich ausgedacht, nichts geträumt, Osman
hatte ihn umarmt, ihn seinen Freund genannt, ihn auf beide Wangen geküßt.
Dennoch hatten die Knechte ihm morgens verwehrt, dem Freund zum Bairam zu
gratulieren, und sie hatten sich schwer an ihm versündigt, aus Neid, aus Niedertracht,
aus Feindseligkeit, die Dienstboten gegen jedermann empfanden.
Nur Osman gab er keine Schuld.
Jeder andere, der bei Vernunft war,
hätte das zuerst getan, und er hätte ihn zum Teufel geschickt, wenn er ein
wenig Stolz im Leib hatte. Aber Mahmut hatte sich vom Schein betören lassen und
von dem Wunsch, das zu sein, was er gern gewesen wäre. Er brauchte keinen
Stolz, sondern Freundschaft.
Warum war er gerade auf Osman
hereingefallen, der die Menschen bezauberte, der sie ausnutzte und fortwarf,
sobald er sie nicht mehr brauchte.
Osman war ein kalter Höhlenfels,
Mahmut ein verprügeltes Kätzchen, das sich nach Wärme sehnte. Der eine hatte
kein Erinnerungsvermögen, der andere konnte nicht vergessen. Dem einen war es
gleichgültig, der andere litt.
Was sollte ich ihm sagen? Komm zu
dir, du Narr? Vergiß es, armer Teufel?
Er war lächerlich und kläglich, ich
wußte nicht, ob ich ihn bedauern oder beschimpfen sollte.
»Wenn mir Osman nur nicht böse ist«,
sagte er besorgt.
Als er ging, war er scheinbar
aufgeheitert, aber mich konnte er nicht täuschen. Ein ferner Zweifel plagte
ihn, wenn er ihn auch nicht wahrhaben wollte.
Würde er lange betrübt sein oder
bald vergessen? Sein Leben war eine lange Kette betrogener Hoffnungen, er hatte
sich wohl an Enttäuschungen gewöhnt.
»Gestern abend habe ich ihm einen
schlechten Dienst erwiesen«, sagte ich zu Tijana, als Mahmut fort war.
»Er ist verrückt, und so wird er
auch sterben«,
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