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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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wenige kleine Taten, von großen ganz zu schweigen,
deshalb bewahrten wir sie lange im Herzen und auf der Zunge. Gott allein wußte,
was sie alles taten und was für Geheimnisse sie hatten. Bei ihnen war alles
geheim, bei uns gab es keine Geheimnisse. Vielleicht unterschied sich die große
Welt dadurch von uns. Etwas Bedeutsames konnte nicht öffentlich getan werden.
Öffentlich wurde gelogen, öffentlich wurden große Worte gesprochen, öffentlich
wurde der äußere Schein vorgezeigt, öffentlich wurde Gewalt geübt. Wichtige
Dinge, gute oder schlechte, geschahen insgeheim, sie wurden vorbereitet,
während wir Schwachen schliefen, und wenn wir erwachten, staunten wir: Wie ist
das plötzlich gekommen?
    Als ich dieser naiven Grübelei aus
Rache an mir und ihnen müde geworden war, begann ich dem Gespräch der jungen
Beamten zuzuhören.
    Sie machten sich über die Entführung
lustig. Die Festung sei auch nicht mehr, was sie einmal war, sagte einer. Einst
sei sie sicherer als ein Grab gewesen, jetzt sei sie eine Herberge am Wege. Man
kehre ein, wie dieser Ramiz, sitze ein wenig, schlafe sich aus, wenn man das
Bedürfnis habe, erhole sich, und wenn man genug habe, gehe man wieder. Der
Unterschied bestehe nur darin, daß man in der Herberge für alles bezahlen
müsse, während in der Festung alles umsonst sei, nur schade, daß sie so hoch
auf dem Berg liege, schwer zu erklimmen, sonst könne man hübsch dort einkehren,
wenn man von der Arbeit erschöpft sei.
    Ein anderer sagte, die Festung sei
überflüssig geworden, die Schwerverbrecher könnten sie nach Lust und Laune
verlassen, und die kleinen Gauner brauche man gar nicht erst einzusperren. Wäre
es nicht nützlicher, ein Lagerhaus für Kartoffeln und Getreide daraus zu
machen? Sie sei geräumig genug und trocken, nichts könne verderben.
    Ein dritter fragte sich, wer wohl
die Entführer gewesen seien. Von Ramiz' Mutter könne er es sich nicht
vorstellen, sie sei alt und könne nicht gut reiten, sie hätte sich weder als
stattlicher Polizeisoldat verkleiden noch den Kastellan so heftig über den Kopf
schlagen können. Auch die armen Leute, seine Zuhörer in der Moschee, könnten es
nicht gewesen sein, die Armen wandten keine List an, dazu seien sie zu dumm,
sondern offene Gewalt. Ebensowenig seien es die Reichen gewesen, die für Geld
fremden Mut kaufen konnten, da sie keinen eigenen besaßen, sie seien es deshalb
nicht gewesen, weil sie keinen Nutzen davon hatten, und das erhebe sie über
jeden Zweifel. Und wer glaubte, daß jemand in die Sache verwickelt sei, der
sich darauf verstünde, Siegel zu fälschen, Briefe an Festungskommandanten zu
schreiben, Befehle zu erteilen, und zwar in entsprechendem Namen, der irre
wiederum, denn Ramiz habe am heftigsten gegen die Menschen gepredigt, die zu
alldem fähig waren. Warum hätten sie dann gegen sich selbst handeln sollen?
Wenn man also reiflich nachdenke, wenn man alles in Betracht ziehe, dann habe
niemand die Entführung ins Werk gesetzt. Und wenn dennoch irgendein »Etwas« der
Urheber sei, dann könne er nichts dazu sagen, denn auf übernatürliche Kräfte
verstehe er sich nicht.
    Sie waren gescheite junge Leute,
aber allzu rechtschaffen kamen sie mir nicht vor. Ramiz' Flucht berührte sie
nicht sehr, doch sie standen auch nicht auf seiner Seite. Sie standen
ebensowenig auf der Seite ihrer Vorgesetzten. Sie spotteten über deren
Unfähigkeit im Namen der eigenen Fähigkeiten, die sie nicht zur Geltung bringen
konnten. Wenn sie die Macht gehabt hätten, wäre Ramiz nicht aus der Festung
entkommen. Das wurde nicht ausgesprochen, aber zu verstehen gegeben. Diese
jungen Greise, die ihren Ehrgeiz mit allem anreichern würden, was sie von den
Alten lernen konnten, garantierten uns eine schöne Zukunft. Die jetzige
Obrigkeit gestattete uns zu weinen, sie würden sogar das verbieten und damit
unser Leben heiterer gestalten. Die jetzigen erlaubten uns, insgeheim und
schweigend unzufrieden zu sein, diese würden auch das unterbinden, also würden
wir glücklicher leben, denn Unzufriedenheit war das größte Unglück.
    Ich erinnerte mich wieder, zum wer
weiß wievielten Male, an die Gesellschaft bei Hadschi
Duhotina und verließ das Zimmer. Um nicht etwas zu sagen, was übel aufgenommen
werden konnte. Die jetzigen schlugen, diese würden kastrieren.
    An Osman ging ich vorüber, ohne ihm
einen Blick zu gönnen.
    »Was ist, siehst du mich nicht?«
fragte er lachend.
    »Du hast mich auch nicht gesehen.«
    »Sei nicht kindisch! Ich

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