Die Festung
Entführer gefaßt worden wären, hätten sie ihn sicher verraten,
und dann hätte ihm auch Šehaga nicht helfen können.
Warum hatte er sich darauf
eingelassen? Er selbst hatte nichts davon, der junge Mann ging ihn nichts an,
und ich glaubte nicht, daß er sich für irgend jemanden geopfert hätte. Er
gehorchte nur seinen Einfällen und seinen Wünschen. Vielleicht hatte er es aus
Trotz getan, aus Aufrührertum, aus Lust am Ungewöhnlichen und Gefährlichen, aus
Freude an der Verwirrung der Verfolger, die er verspottete und auf die falsche
Fährte führte. Auf gar keine Fährte. Ins Dunkel. Denn es gab keine Fährte, als
wäre ein Geist vorübergeschwebt.
Ich kannte mich ein wenig in Helden,
Feiglingen, Gaunern, Gewalttätern, Träumern, Entführern, ängstlichen Beamten,
eitlen Schreibern aus, aber von diesem städtischen Heiducken wußte ich nichts. Alles, was ich
über ihn dachte, war unfertig und konnte immer widerlegt werden.
An diesem ersten Feiertagsmorgen
erwachte ich spät, in der Nacht hatte ich mich schlaflos gewälzt und dem
betrunkenen Gesang der Bäckergehilfen und dem Wind vom Trebević gelauscht.
Ich hatte Ramiz' und Osmans wegen nicht schlafen können. Ich war überzeugt,
daß er sich einen Scherz erlaubt, daß er mich belogen hatte, als er sagte, er
wolle in dieser Nacht feiern. Er hatte zu trinken begonnen und die Gesellschaft
verlassen, um die Aufgabe zu erledigen, die ihm Šehaga übertragen hatte. Er
wurde zurückkehren, und alle würden bestätigen, daß er nicht fort gewesen war.
So dachte auch Tijana, später.
Ich versuchte den Zeitpunkt zu
bestimmen, da Osman vor dem Festungstor eintreffen würde, und weil mir hundert
Hindernisse einfielen, verlegte ich ihn tiefer in die Nacht. Jetzt! Aber da
wurden auf der Straße Stimmen und Gesang laut und zwangen mich, den Anfang zu
verschieben. Um Mitternacht hörte ich den Gebetsruf von der Beg-Moschee, das
war Salih Babaković, zu ungewohnter Zeit, da niemand folgen würde,
seltsam, er schien zu klagen, der dunklen Nacht seine Angst und Verlorenheit
anzuvertrauen. Er heulte wie ein Hund über ein Entsetzen, das nur er kannte, er
machte es zehnmal im Jahr, so wie Šehaga regelmäßig mit dem Trinken begann, er
gemahnte die Menschen an Mißgeschicke, an die Leere des Lebens, an den Tod.
Diese ängstlichen Schreie und der Wind, der stoßweise ächzte, zeichneten
diese Nacht und diese Stunde vor anderen aus. Jetzt war es Zeit, Mitternacht,
Wind, Finsternis, leere Straßen, Angst über der Stadt. Würde Osman gegen das schwere
Tor schlagen? Ich erzitterte vor diesem eingebildeten Geräusch, dem einzigen,
das in diesem Augenblick der Nacht von einem Menschen kam. Wußte der Wächter
von seiner Ankunft, oder mußte er überwältigt werden?
Von diesem Augenblick an verflocht
sich in meinem halbwachen Hirn ein Knäuel aus Gefahr, Auflauf, Schreien,
Alarm, Heldentum, aber aus diesem Getümmel, das ich nicht zu entwirren wagte,
entkamen Osman und Ramiz irgendwie, sie machten sich auf in die Nacht, zu
Pferde, auf einer Wolke, und sie verschwanden in der Dunkelheit.
Dann kehrte ich wieder zum Anfang
zurück. Der Wächter schlug Alarm, bevor Osman etwas ausrichten konnte, in der
Festung gingen die Lichter an, in der Stadt schrie ein einsamer Mensch seine
Angst in den finsteren Himmel, und ich versank in den Schlaf, in den ich von
dieser Welt nur die Schatten der beiden tapferen Reiter mitnahm.
Als ich erwachte, wurde mir bewußt,
daß Osman am Vorabend nichts für Ramiz getan hatte, sein Vergnügen war ihm
wichtiger gewesen.
Und dann erfuhr ich, daß die
Entführung geglückt war.
Ich hatte kaum gefrühstückt, da
tauchte Mahmut auf. Er wußte nichts von Ramiz und der Flucht aus der Festung,
es berührte ihn auch nicht sehr, als wir es ihm erzählten. Für ihn gab es
wichtigere Dinge. Vor allem die Feier in Zajkos Schenke. Ob Osman einmal
hinausgegangen sei? Mitnichten. Wohin hätte er auch gehen sollen?
Er stürzte mich vollends in
Verwirrung. Die ganze Nacht hatte ich um Osman gebangt, und er hatte die ganze
Nacht in der Schenke gesessen. Schade, daß Tijana das nicht hörte, aber sie war
in diesem Augenblick damit beschäftigt, zwei Körbe mit Leckerbissen
entgegenzunehmen, die von Šehagas Gehilfen abgegeben wurden. Die Körbe schickte
sie zurück, die Schüsseln behielt sie.
»Das ist von Šehaga«, erklärte sie,
ganz verlegen ob der unerwarteten Aufmerksamkeit.
Mahmut nickte anerkennend, aber
nicht sehr beteiligt.
»Sicher war es Osmans Idee«,
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