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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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entgegnete sie wütend. »Soll ich jetzt weinen, weil Osman ihn
weggejagt hat? Er hat eine Frau zu Hause,
warum bleibt er nicht bei ihr.«
    Sie war heute mit dem linken Bein
zuerst aufgestanden.
    Am besten lasse ich sie allein, bis
ihr Zorn verraucht ist, dachte ich, darum sagte ich, ich wollte Šehaga zum
Bairam gratulieren. Damit gedachte ich zu tun, was sich gehörte, und zugleich
dem Gewitter zu entgehen, das sich auf meinen unschuldigen Kopf entladen würde.
Denn ich sah die Blitze schon zucken.
    »Ob dir die Knechte auch die Tür vor
der Nase zuschlagen?»fragte sie bissig.
    »Šehaga hat mich eingeladen, es wäre
unpassend, nicht hinzugehen. Und wenn sie mich nicht vorlassen, auch gut.
Jedenfalls werde ich nicht heulen wie Mahmut.«
    »Ihr bringt euch für die noch um!
Schämen solltet ihr euch!«
    Ich wollte nicht fragen, wer die waren.
Vielleicht Heiducken wie Osman, vielleicht die Reichen, wie Šehaga. Wenn sie
das meinte, dann war es eine Beleidigung. Aber vielleicht verstand sie unter denen alle, die außerhalb dieses Zimmers lebten, alle, die nicht sie waren. Wenn
sie es so meinte, dann war es Liebe.
    Ich entschied mich für die bessere
Möglichkeit, küßte sie auf die Wange, um ihr zu zeigen, daß ich nicht gekränkt
war, und ging ohne Eile weg.
    Bei Šehaga waren viele Menschen, das
Haus war voll und laut wie ein Gasthof. In der Haustür begegnete ich Osman, er
begleitete Zafranija hinaus. Er tat, als sähe er mich nicht, oder es war ihm
gleichgültig, mich zu sehen.
    Im Flur kam mir Šehaga entgegen, der
den Kadi zur Tür brachte. Machten ihm denn alle ihre Aufwartung? Sie mochten
ihn nicht, aber sie kamen. Auch er mochte sie nicht, aber er bedankte sich
herzlich für ihren Besuch und bat sie, ihn wieder zu beehren.
    Ich wußte, wie geehrt er sich
fühlte.
    Insgeheim lachte ich schadenfroh:
Wenn sie wüßten, daß die Entführung auf Šehagas Geheiß geschehen war, würden
sie dann so liebenswürdig grinsen, um zu verbergen, was sie dachten und was sie
einander in Wirklichkeit wünschten?
    Als er allein war, ging ich hin,
gratulierte ihm und küßte ihm die Hand. Eigentlich hatte ich erwartet, daß wir
uns auf die Wange küssen würden, wie Gleichgestellte, obwohl wir es nicht
waren, aber seine starre Haltung verriet mir, daß er keine Vertrautheit mit mir
wünschte. Vielleicht weil zwischen uns ein wichtiges Geheimnis und eine andere
Beziehung als zwischen anderen Menschen war. Oder ich nahm den Schein für
Wirklichkeit, wie Mahmut.
    Nein, bei uns war es dennoch anders
(ach, der Mensch ist unverbesserlich, meistens belügt er sich selbst, ohne es
zu wissen).
    Ich fragte, ehe er sich meiner entledigen
konnte, was mit Ramiz sei, wohin man ihn gebracht habe.
    Er antwortete ohne ein Lächeln:
    »Woher soll ich das wissen? Warum
fragst du mich?«
    »Wen soll ich sonst fragen?«
    »Niemand.«
    Und er lächelte nachträglich und
führte mich in ein Zimmer voller jüngerer Leute. Jüngerer und weniger wichtiger.
Damit ich wußte, wohin ich gehörte, und ich würde es auch wissen, wenn ich so
alt war wie Mahmut. Zum Glück war es mir gleichgültig.
    Schließlich hatte ich auch
dringendere Sorgen: Ich dachte über Šehagas Antwort nach. Ich empfand Scham und
Zorn, Scham über mich und meine dumme Frage, Zorn auf mich und auf ihn.
Vielleicht hatte er recht, ich hätte nicht fragen dürfen, nicht in diesem
Augenblick.
    Hunderte Ohren konnten zuhören, aber
er hätte es anders sagen können, weniger schroff, weniger verletzend. Mußten
sie uns ständig zeigen, daß sie höher standen als wir?
    Ich saß finster und verärgert da und
war Zeuge eines Gesprächs, das ich kaum verstand.
    Was wollte ich hier? Warum war ich
nicht sofort nach der Gratulation gegangen? Ich hatte Šehaga angestiftet, Ramiz
zu retten, genügte mir das nicht? Damit hatte ich mehr getan, als ich mir je im
Traum vorgestellt hätte, was wollte ich mehr? Mich mit ihm über einen guten
Menschen unterhalten, mich mit ihm in der gemeinsamen Heldentat sonnen, mit
ihm über rücksichtslose Menschen triumphieren? Wirklich lächerlich.
    Dies war eine andere Welt, fern und
unverständlich. Sie hatten es getan, und fertig. Sie
hatten es getan, warum noch darüber reden? Wir einfachen Menschen liebten es,
unsere Erlebnisse nachträglich zu genießen. Sie handelten und vergaßen. Ich
mußte zugeben, sie waren weise, ich war dumm. Ich entzückte mich an einer
mutigen Tat und war stolz darauf, sie vollbrachten eine mutige Tat und
schwiegen. Wir vollbrachten

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