Die Festung
unklug, noch mehr Leute in die Sache hineinzuziehen.«
Es verletzte mich, daß sie Blindekuh
mit mir spielten. Sie hatten beschlossen, daß ich es tun sollte, die
Entscheidung getroffen. Außerdem war die Geschichte lückenhaft, etwas hielten
sie vor mir geheim. Warum war Zajko ausgerechnet zu Osman gegangen? Doch
gleichviel, ich würde tun, was sie erwarteten, sonst konnten sie noch glauben,
daß ich Angst hätte. Ich würde ihnen das Gegenteil beweisen.
Dabei hatte ich Angst. Mir blieb
fast das Herz stehen, als ich mich entschied. Vielleicht gerade deshalb sagte
ich: »Ich werde hingehen.«
»Weißt du, wo sie wohnen?«
»Ja, in Bjelave.«
»Am besten gehst du sofort.«
»Warum ist Zajko ausgerechnet zu
Osman gekommen?« fragte ich plötzlich, ohne einen Augenblick zuvor gewußt zu
haben, daß ich es tun würde.
Šehaga lachte.
»Ich dachte, du würdest diese Lücke
in der Geschichte nicht bemerken. Avdija hat gesagt, nur er und Osman Vuk
wüßten, wer die Entführer seien.«
Nun lachte auch ich.
»Die Lücke ist ziemlich groß. Und
was soll ich sagen?«
»Daß sie Avdija holen und zur Vernunft bringen sollen. Geh unbesorgt. Ich würde dich nicht
schicken, wenn es gefährlich wäre.«
»Sehe ich denn erschrocken aus?«
Ich spielte den Helden, der ich
nicht war, aber ich hatte keine Angst mehr. Sie hatten Ramiz geholfen, ich
würde ihnen helfen. Es war nicht viel, aber auch nicht wenig.
»Nur keine Eile. Tu so, als machtest
du einen Spaziergang«, riet mir Osman.
Würde mir auf der Gasse der Serdar
Avdaga begegnen?
Zum Glück war er nicht da. Ich
bildete mir ein, daß mir das Geheimnis, das ich mit mir herumtrug, aus den Augen
schaute, daß sein Schatten auf meinem Gesicht lag, daß meine Körperhaltung und
mein veränderter Gang es verrieten.
Sie hatten mich von sich
ferngehalten und mir alles verborgen, jetzt hatten sie das Geheimnis ein wenig
gelüftet, weil sie mich brauchten.
Und der Schnee fiel vom Himmel,
setzte sich auf meinen Schultern fest, schmückte mich mit weißen Tüchlein,
kühlte meine Nase und meine Erregung.
Hatten sich Šehaga und Osman bei
allem fremder Hände bedient?
Jemand war vermutlich zum alten Omer
Skakavac gegangen, hatte ihm vorgeschlagen, mit seinen Söhnen den Gefangenen
zu entführen, hatte sich mit ihm über die Entlohnung geeinigt und später das
Geld bezahlt. Jetzt versuchte ich mögliche unangenehme Folgen zu verhindern.
Aber wer hatte mit dem
Festungskommandanten gesprochen?
Mit der Familie Skakavac war es
einfach gewesen, es war für sie eine Arbeit wie jede andere, vielleicht sogar
leichter als Pferdediebstahl im Savegebiet und in der Mačva, was offenbar
ihre Hauptbeschäftigung darstellte. Sie konnten zustimmen oder ablehnen, das
war alles. Auf lange oder kurze Gespräche mit der Obrigkeit ließen sie sich
garnicht erst ein.
Aber wer hatte gewagt, den Kastellan
zur Verletzung seiner Pflicht zu überreden? Hätte er sich geweigert, wäre es
jenem Unbekannten schlecht ergangen. Er hätte wahrscheinlich mit Ramiz das
Verlies teilen müssen. Wer es auch immer war, er mußte ihn gut kennen, damit er
ihn mit dem gefährlichen Vorschlag nicht erschreckte. War es Osman gewesen, der
imstande war zu töten, wenn er mit Verhandlungen nicht weiterkam? Oder Šehaga
selbst, der sich darauf verlassen konnte, daß man seinen Lügen eher Glauben
schenkte als einer wahrheitsgemäßen Aussage des Kastellans? Oder ein Dritter,
den ich mir weder vorstellen noch unter den mir bekannten Menschen vermuten
konnte. Er hätte Eigenschaften haben müssen, die schwerlich in einer Person zu
finden waren: Redlichkeit, damit ihm jeder vertraute wie sich selbst, Klugheit,
damit er den Kastellan weder ängstigte noch abstieß, Unterschrockenheit, um
die Folgen eines möglichen Mißerfolgs nicht zu fürchten. Wer war dieser Mensch?
Hätten sie das zufällig mir
angeboten, ich hätte selbst den Gedanken verworfen, mit dem Kastellan zu
sprechen. Um keinen Preis hätte ich mich darauf eingelassen, mir wäre gewesen,
als unterschriebe ich das eigene Todesurteil.
Dies hier wagte ich, es war wirklich
ungefährlich, ich kam als zufälliger Spaziergänger, der erste Schnee hatte mich
hinausgelockt, ich würde die Botschaft anderer überbringen, als wüßte ich
nicht, wovon ich sprach, ich konnte mich nicht verdächtig machen, selbst wenn
etwas herauskam. So fand jede Aufgabe den angemessenen Mann. Mein Maß war
klein, so wie die Arbeit, die ich tat. Und mehr brauchte ich nicht.
Den alten
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