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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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aus dem Leib geprügelt. Wild waren sie ohnehin, und Avdijas Dummheit
hatte sie vollends in Rage gebracht. Der junge Mann hatte sich schwer
vergangen, indem er ihr Gesetz des Schweigens übertrat, das sie wie eine Mauer
schützte, das ihre Festung war. Sie rühmten sich nicht gern ihrer Taten,
verlangten nicht nach Anerkennung, ließen nichts über sich verlauten. Avdija
hatte den Mund aufgemacht und Gefahr für die Familie heraufbeschworen. Sie
wollten ihm eine Lehre erteilen, er sollte sich merken, daß
er nie wieder über etwas sprechen durfte, was nicht für fremde Ohren bestimmt
war, er sollte sich ein für allemal einprägen, daß die Sicherheit der Familie
heilig war. Aber als sie meinten, von den Schlägen ablassen zu können, die
heilsamer waren als Worte, als sie meinten, er habe vorerst genug von der
harten Lektion – und man konnte nie genau wissen, was für sie genug war –, als
sie ihm endlich Schlaf gönnten, da war Avdija für immer eingeschlafen, geheilt
von seiner Unvernunft, da hatte er begriffen, daß er nie wieder sprechen und
die Familie in Gefahr bringen durfte.
    Sie hatten ihn umgebracht, nachdem
ich sie von seiner Verfehlung benachrichtigt hatte. Also war ich schuld an
seinem Tod!
    Dieser Gedanke entsetzte mich,
bohrte sich in mein Herz wie ein Messer, so bedrohlich für meinen inneren
Frieden, daß ich sofort begann, mich leidenschaftlich zu verteidigen.
    Ich war nicht schuld.
    Hatte ich denn wissen können, daß es
solche Menschen gab? War es denn möglich, um der eigenen Sicherheit willen den
Sohn und Bruder zu töten? Ich hatte annehmen können, daß sie ihn beschimpfen,
ihm drohen, ihn sogar auch schlagen würden, aber dies wäre mir selbst im
schlimmsten Alptraum nicht eingefallen. Außerdem war ich bei alldem ganz
unwichtig, wäre ich nicht hingegangen, hätte sich ein anderer gefunden, und das
Ergebnis wäre das gleiche gewesen.
    Ich war nicht schuld.
    Ich habe keine Schuld, wiederholte
ich aufgeregt, nicht die geringste. Dennoch mußte ich ständig an den Jungen
denken, den die Brüder und der Vater in seinem Rausch geprügelt und mit Füßen
getreten hatten, von Sinnen vor Wut über sein unverzeihliches Vergehen. Oder
hatten sie vielleicht gewartet, bis er am Morgen erwachte, ihn ausgescholten,
worauf er etwas sagte, was sie erbitterte, und hatten dann mit dem
Familiengericht begonnen?
    Was war da vorgegangen in einem
verschlossenen Zimmer, in einem finsteren Keller, in ihren Köpfen, in ihren
Herzen? Wahrscheinlich hatte er geschwiegen, denn auch er war ein Skakavac, und
das hatte ihn das Leben gekostet, er hatte nicht bereuen wollen, und das konnte
so aussehen, als trotzte er. Vielleicht hatte er ihnen im Sterben noch
getrotzt. Hatte er bewußt jeden Schlag hingenommen, der ihm die Eingeweide
quetschte und die Adern zerriß, hatte er die blutunterlaufenen Augen gesehen,
deren Feuer ihn versengte? Vielleicht war das der Grund dafür, daß er sich
nicht gedemütigt und nicht um Gnade gebeten hatte.
    Meine krankhafte Phantasie malte mir
das Bild des Jungen, der sich krümmte, von inneren Blutungen erstickt, der mit
letzter Kraft den zerschlagenen Arm hob, um den Kopf zu schützen, noch immer
hoffend. Oder ohne Hoffnung. Ohne Gedanken. Oder mit dem Gedanken, daß es recht
war, was sie ihm antaten, weshalb er dann auch schwieg, es war eine
Familienangelegenheit, über die kein Laut nach außen dringen durfte. Dies ging
nur sie an, niemanden sonst. Er und der Vater und die Brüder gehorchten einem
Gesetz, das stärker war als sie.
    Aber vielleicht hatte der Junge
gegen die Grausamkeit dieses Gesetzes revoltieren wollen? Es war überall das
gleiche, in kleinen und großen Gemeinschaften.
    Diese Vorstellungen quälten mich,
diese grellfarbenen, bewegten Bilder des Entsetzens, der blutbefleckten, weit
ausholenden Fäuste, der lautlos brechenden Knochen, des mühsamen, röchelnden
Atmens, bis zur vollkommenen Stille, deren Name Tod ist. Und noch quälender
war, daß diese Vorstellungen mein Schuldgefühl verstärkten. Vergebens schrie
mein erregtes Gewissen, daß es auch ohne mein Zutun geschehen wäre. Es war mit
meinem Zutun geschehen, und das konnte ich weder ändern noch vergessen.
    Was war das für ein Leben, was für
eine Welt, in der ich mit der besten Absicht Böses tat.
    Aber ich tat Böses, auch wenn ich
müßig war, wenn ich das Böse und das Gute sein lief?. Ich tat Böses, auch wenn
ich redete, denn ich sagte nicht, was ich sagen sollte. Ich tat Böses, auch
wenn ich schwieg,

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