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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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denn ich lebte, als wäre ich nicht vorhanden. Ich tat Böses,
weil ich lebte, denn ich wußte nicht, wie ich leben sollte.
    Ich nahm zufällig am Leben teil, und
alles, was ich tat, kam nicht aus mir selbst.
    Ich hatte einen Menschen getötet,
weil ich einen Schritt getan, ein Wort gesagt hatte. Ich
kannte ihn nicht, hatte ihn nie gesehen, und es war meine Schuld, daß ich ihn
nie sehen würde. Und ich fragte nicht danach, warum er das Familiengesetz
übertreten hatte, ob er, des Schweigens überdrüssig, hatte entfliehen, etwas
Schönes, Bedeutsames über sich sagen wollen, er war zu jung gewesen, er hatte
nicht nur die Tat gebraucht, sondern auch das Wort über die Tat, vielleicht nur
das Wort über irgend etwas von sich. Vielmehr fragte ich danach, warum ich
zugestimmt hatte, mich in ein fremdes Leben einzumischen, ohne nachzudenken,
nur aus dem Bedürfnis, Mut zu beweisen, den ich nicht besaß, und solchen
Menschen einigermaßen ebenbürtig zu sein, denen ich niemals ebenbürtig sein
konnte. Und ich fragte mich, was ich wohl gesagt haben mochte, daß der alte
Omer so in Zorn geriet, ob mir ein heftiges Wort entschlüpft war, ob ich den
Eindruck erweckt hatte, als mißbilligte ich das Verhalten des Jungen, ob eine
meiner Gesten verletzend gewesen war. Nein, nichts von alldem traf zu, ich war
verwirrt gewesen, halb verschüchtert und halb beleidigt durch den feindseligen
Blick des Alten, der mir kaum zuhörte, ich hatte an mich gedacht, an das, was
ich sagte, nicht an den Jungen, über den ich sprach. Und damit war der Stab
über ihn gebrochen. Weil ich gesprochen hatte, gleichgültig wie. Weil ich gekommen
war, gleichgültig warum. Weil ich den Fuß auf einen fremden Pfad gesetzt hatte.
    Während wir zur Moschee gingen,
erzählte Osman etwas, lachend wie immer, doch ich hörte nicht zu. Ich starrte
zu Boden und grübelte über meine Schuld. Der Schnee war nicht mehr rein und
weiß, er war zu häßlichem Matsch geworden, wie ich nebenbei feststellte, aus
den Garküchen drang schwerer Fettgeruch, der mir den Atem nahm. Osmans Lachen
erschien mir wie eine Verhöhnung meiner Qual.
    »Hör bitte auf zu lachen!«
    Osman war aufrichtig erstaunt.
    »Was hast du denn? Warum stört dich
mein Lachen?«
    Ich antwortete nicht, wütend auf mich selbst. Störte es mich etwa
schon, wenn die Menschen lachten?
    Seltsamerweise nahm er es nicht
übel. Er fragte mich fröhlich: »Du hast wohl schlechte Laune? Du siehst aus wie
eine saure Gurke.«
    »Laß mich bloß in Ruhe. An mir
könnte sich eine Schlange vergiften.«
    »Das sehe ich, aber ich weiß nicht,
warum. Hast du Streit mit deiner Frau?«
    »Unsinn!«
    »Oder Bauchschmerzen? Vielleicht
liegt dir was Schweres im Magen?«
    »Nein. Ich denke an den armen
Jungen, zu dessen Totenfeier wir gehen.«
    »Du brauchst dir doch seinetwegen
keine Gedanken zu machen.«
    »Wäre ich nicht zum alten Omer
Skakavac gegangen, könnte der Junge vielleicht noch am Leben sein.«
    »Ach, das ist es! Nimm's mir nicht
übel, aber du bist wirklich verrückt. Wenn du nicht hingegangen wärst, hätte
sich ein anderer gefunden.«
    »Dann wäre ich nicht schuld.«
    »So, und weißt du, was Šehaga über
dich gesagt hat? ›Der taugt nicht für diese Sache.‹ Ich hab gesagt:
›Und warum nicht? Für ihn ist das ein Kinderspiel.‹ Jetzt siehst du,
Šehaga hat recht gehabt. Du taugst wirklich zu nichts!«
    »Hättet ihr doch ein Kind geschickt.
Dann wüßte ich von nichts und hätte keine Gewissensbisse.«
    Osman sah mich bedauernd an wie
einen Schwachsinnigen, wie einen verzärtelten Fratz, der nichts vom Leben
wußte. Er hörte auf zu lachen, packte mich am Arm, drehte mich zu sich um und
sagte roh: »Jetzt hör mir mal zu! Du meinst, du würdest von nichts wissen? Bist
du da ganz sicher? Hättest du dem alten Omer nicht die Nachricht überbracht,
wäre ein anderer hingegangen, und alles wäre genauso gekommen, nur du wärst
sauber geblieben, du würdest alles wissen, nur deine eingebildete Schuld würde
dich nicht quälen. Wenn wir aber niemanden gefunden hätten oder einen falschen,
der Angst bekommen hätte und zum Serdar Avdaga gegangen wäre statt zu Omer
Skakavac, was wäre dann geschehen? Los, streng deinen überschlauen Kopf ein
bißchen an! Es wäre nämlich so gekommen: Der verrückte Avdija wäre eingesperrt
worden und jetzt sicherlich auch tot. Eingesperrt wäre auch Osman Vuk, der
jetzt lacht, dem aber nicht nach Lachen zumute wäre, wenn es ihn erwischt
hätte. Vielleicht wäre auch

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