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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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anderen siegten,
nicht weil sie dümmer oder klüger waren, sondern weil die einen ungeschickt
und die anderen gewitzt waren. Die Ungeschickten brauchte man nicht zu
bedauern, sie wären genauso grausam gewesen wie jene anderen, wenn ihnen der
Zufall oder das Glück die Gelegenheit dazu geboten hätten. Man brauchte sich
über nichts aufzuregen, und am besten war es, über alles zu lachen und darauf
zu achten, daß man nicht zwischen die Mühlsteine geriet. Wenn man nicht oben
sein wollte, hatte man sich davor zu hüten, nach unten zu geraten, im übrigen
mochte man leben, wie es einem gefiel. Osman haßte die Menschen nicht, das
konnte man ihm nicht nachsagen, er nahm sie nur nicht ernst, er verachtete sie
ein wenig, weil sie so töricht waren, ihr Leben mit Streitigkeiten und Sorgen
zu vertun.
    Diese oberflächliche Philosophie,
die mich gleichermaßen abstieß und anzog, verband auf seltsame Weise
Skrupellosigkeit und große Menschenkenntnis. Bei mir hingegen gingen Skrupel
wegen jedes Schrittes mit großer Unkenntnis der Menschen einher. Und ich dachte
einfacher als Osman, trotz seiner Oberflächlichkeit, bei mir waren nein und ja wie Sommer und Winter, Gut und Böse waren zwei verschiedene Seiten
der Welt, es gab mehr Strafen als Schuldige, und sie standen in keinem
ursächlichen Zusammenhang, das Leben war ein trauriges Schlachtfeld, auf dem es
wenige Henker und viele Opfer gab, auf dem sich die Rücksichtslosen erhoben und
die Schwachen fielen, und alles war so kummervoll, daß man am besten nur weinte
und nicht nachdachte.
    Meine Anschauung war kleinmütig und
schwächlich, unannehmbar für einen Menschen der Tat; die seine war grausam und
egoistisch, unannehmbar für einen denkenden Menschen. Was konnte man sich
demnach zu eigen machen? Ramiz' Anschauung? Sein Standpunkt war mir näher und
ferner als jeder andere, denn er war der am wenigsten egoistische und der
gefährlichste, aber darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken.
    Bei dieser verworrenen und
schmerzlichen Grübelei überhörte ich die alten, mir und jedem wohlbekannten
Gebete, die für jeden neuen Toten taugten, denn jedermanns Ende ist gleich, und
es ist die gleiche Gnade, die von Gott erbeten wird. Dieses immer gleiche
menschliche Schicksal und das immer gleiche Jammern um Vergebung der Sünden
macht ja die Leichenbegängnisse so ermüdend. Aber als sich der Hodscha zu uns
umwandte und zu fragen begann, wie dieser Tote gewesen sei, ob er zu Lebzeiten
gut und redlich war, ob er das himmlische Reich verdient habe, erschauerte ich.
Mein Blick fiel auf den arten Omer Skakavac, ich sah ihn von der Seite, sein
zerfurchtes Gesicht war kantig und straff, die weißen Brauen beschatteten die
eingefallenen Augen wie die Flügel eines weißen Vogels. Was dachte er jetzt,
während wir auf die Frage antworteten, ob der Tote ein guter und redlicher
Mensch war? Verkrampfte sich sein Herz, oder ließ er sich nicht einmal in
diesem Augenblick von Trauer überwältigen? Er hob den Kopf, er kämpfte mit sich
oder trotzte dem Schmerz, aber dann fiel ihm das Kinn auf die Brust. Eine Träne
löste sich von seinen schütteren Wimpern, glitt langsam über die rauhe Wange
und verschwand in den tiefen Furchen. Ich stieß Osman mit dem Ellenbogen an und
wies mit dem Kopf auf Omer. Er senkte nur die Lider, er hatte es auch gesehen.
Dann aber riß der störrische Alte mit kräftiger Bewegung den Kopf hoch und
verharrte, den Blick auf das Fenster der Moschee gerichtet, über der Erde, über
den Steinen, über dem Toten. Allein mit sich selbst. Er schämte sich seiner
Tränen, vor sich selbst oder vor den anderen. Würden ihn Schmerz und Reue
überwältigen, wenn die Nacht hereinbrach, die uns isoliert und einsam macht, die Dunkelheit, in der wir uns
selbst gegenüberstehen? Oder würde er sich hinter der Schuld des Jungen und dem
Heiligtum der bedrohten Familie verschanzen? Jetzt stand er vor uns wie ein
Opfer des gnadenlosen Schicksals, und die Menschen bedauerten ihn, sie
bedauerten einen Mörder. Das wirkliche Opfer lag auf dem steinernen Podest,
bedeckt von olivgrünem Tuch, starr und stumm, ein beredter Vorwurf nur für den
Vater und die Brüder. Und siehe, ich wußte alles über Vater und Sohn, und ich
bedauerte den einen wie den anderen. Opfer waren sie beide.
    Als ich zu Omer trat, um ihm wie die
anderen mein Beileid auszusprechen, verkrampfte sich sein steinernes Herz, und
seine Hand lag unbeweglich und eiskalt in meiner. Er hatte mich erkannt und
sich des Tages

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