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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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erinnert, an dem sein Sohn noch am Leben war. Für ihn und für
den Jungen war ich ein Unglücksbote gewesen. Ich zog meine erschlaffte und
heiße Hand zurück, bestürzt über den blinden Haß des Alten.
    »Jetzt haßt er dich und mich und
seine Söhne und die ganze Welt, nur um seine Schuld zu vergessen«, flüsterte
mir Osman zu, als ahnte er, woran ich dachte.
    Ich hatte mir nicht erlaubt, an
meine Schuld zu denken, aus Furcht, sie könnte mich quälen, solange ich die
verhüllte Leiche des Jungen vor mir hatte. Ich hatte sie um seines Vaters
willen unterdrückt, während ich die Geheimnisse seines eisstarren Gesichts zu
enträtseln suchte. Aber als die Gedanken an ihn verblaßten und ermüdeten wie
ein Bild im Auge, wenn sich die Lider senken, wurde ein seltsames Gefühl der
Unbehaglichkeit in mir wach. Ich wußte nicht, warum. Ich vergaß sie für einen
Augenblick, dann kam sie wieder wie ein undeutlicher Schatten, ein verworrener
Gedanke an etwas Unangenehmes. Nicht an den Alten, und nicht an den Jungen.
Woran dann, weshalb? Ich wußte, so meldeten sich alte, begrabene Ängste wieder,
uralte Ahnungen, vergangene quälende Vorgefühle, besonders jene aus dem Krieg,
als ich durch den Wald gekrochen war und kaum die Angst meines Herzens hatte
bändigen können, das die Nähe eines feindlichen Soldaten spürte. Ich pflegte
der Fährte dieser Ängste zu folgen, ihnen nachzujagen, um sie scheinbar tot zu
bergen und ihnen dann doch im Winkel eines Gedankens wiederzubegegnen. Jetzt
aber vermochte ich diese verschwommene alte
Unbehaglichkeit nicht zu fassen, obwohl ich alle aufzählte, die ich kannte, und
sie liebevoll herbeirief, wie ein Fakir die Schlange. Mein Lockruf blieb ohne
Echo. Die Drohung der Schlange blieb, obwohl ich nicht wußte, welcher Art sie
war.
    Dann wandte ich mich um, plötzlich,
ohne Grund, und begegnete dem Blick des Serdars Avdaga.
    Das also war der Quell meiner Unruhe
gewesen.
    Vielleicht hatte ich seinen Blick
schon vorher gesehen, ohne mir dessen bewußt zu sein, ohne ihn mir einzuprägen,
weil meine Gedanken mit Wichtigerem beschäftigt waren, vielleicht hatte ich ihn
auch nicht gesehen, sondern er hatte sich an meinen Nacken geheftet und mich so
auf sich aufmerksam gemacht. Ich hatte ihn erspürt wie einen feindlichen
Soldaten.
    So standen wir da, wir waren wie
Geschoß und Zielscheibe.
    Etwas später sah ich, daß Osman mit
Avdaga sprach.
    Als wir wieder allein waren, fragte ich ihn: »Was hast du mit
Avdaga geredet?«
    »Ich habe ihn gefragt, ob er Avdija
gekannt hat.«
    Er war von Sinnen! Oder er flatterte
wie ein Nachtfalter um die Kerze!
    Ich sagte mahnend und vorwurfsvoll:
»Ich habe einen Soldaten gekannt, der schrecklich unruhig wurde, sobald eine
Schlacht begann. Er stürzte sich ins heftigste Getümmel, nur um nicht warten
zu müssen. Es hat nicht lange gedauert, und er ist gefallen.«
    »Ich bin nicht so wie dein
aufgeregter Soldat. Avdaga hat mich dasselbe fragen wollen, und da bin ich ihm
zuvorgekommen. Später hat er mir seine Frage gestellt. ›Du und ich, wir
kennen jedermann‹, habe ich ihm gesagt. ›Du wegen deiner Geschäfte, und
ich wegen meiner. Nur daß sich meine Bekannten nicht vor mir verstecken
müssen.‹«
    »Er hat mich die ganze Zeit
angestarrt.«
    »Er hat jeden angestarrt, das ist
sein täglich Brot. Mach dir nichts draus.«
    Ich bat ihn, mit mir zu Mahmut
Neretljak zu gehen – die Goldschmiedsgasse war ganz in der Nähe – und ihm ein
paar nette Worte zu sagen, er hatte weder vergessen noch verwunden, daß ihn die Knechte am
Bairam nicht vorgelassen hatten.
    »Dein Mahmut ist ein richtiger
Tölpel. Warum hat er es gerade auf mich abgesehen?«
    »Es ist sein größter Wunsch, der
Freund eines angesehenen Mannes zu sein.«
    »Und dieser angesehene Mann bin
ich?«
    »Er redet seit Tagen nur von dir.«
    Osman brach in Gelächter aus, als
hätte er den närrischsten Witz gehört.
    »Dann ist er ja noch dümmer, als ich
geglaubt habe.«
    Dennoch willigte er ein, mich zu
Mahmut zu begleiten, obwohl er meine Gründe nicht verstehen konnte und sicher
dachte, daß ich ein wenig verdreht sei oder etwas im Schilde führe. Er wußte
nicht, was Mitgefühl war, er betrachtete es als ebenso verletzend für den, der
es zeigte, wie für den, dem es galt. Er deutete an, daß er nicht viel Zeit habe
und nicht wisse, warum er sie für Dummheiten verschwende, aber gut, um
meinetwillen würde er die paar albernen Worte sagen, sicher hätte ich meine
Gründe dafür, dann aber

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