Die Festung
sagte, es sei eine Sünde,
niemand würde sich für sie verwenden, mein Wort gelte nirgends etwas, doch er
könne etwas erreichen, er kenne den Kadi und Zafranija und alle Leute bei der
Polizei, sie müßten sie freilassen, denn hatte sie Ramiz etwa gefragt, was er
denke und mache, als sie ihm das Zimmer gab, sie habe selbst genug Sorgen, ihr
Mann liege krank zu Bett, die Nachbarn besuchten ihn aus Barmherzigkeit, doch
das menschliche Mitleid sei kurz und wenig ausdauernd, der Ärmste würde mit
der Zeit in seiner Hilflosigkeit allein bleiben, und auch sie sei krank, was
wolle man denn von ihr?
Mula Ibrahim verneinte nur durch
Kopf- und Handbewegungen, doch ich bedrängte ihn wie eine Wespe, immer
aufdringlicher, je sicherer ich wurde, daß er nichts tun würde. Ich hatte es
schon vorher gewußt, obwohl ich mich lieber geirrt hätte.
Indes, ich quälte ihn umsonst. Er
wagte nichts zu tun, aus Angst. Er hätte der unglücklichen Frau sicher gern
geholfen, er hatte ein gutes Herz, doch er fürchtete, Verdacht zu erregen. Wer
setzte sich noch für Verhaftete ein? Selbst für sie zu bitten sei gefährlich.
War das Mißtrauen gegenüber dem Gericht? Ablehnung seiner Verfahrensweise? Oder
verbarg sich dahinter eine Beziehung zu dem Angeklagten? Man konnte auch argwöhnen,
daß er Ramiz kenne. Und hier wäre es ausgewesen mit jedem Edelmut. Der Frau
würde er nicht helfen, höchstens sich selbst schaden.
Danach sagte er, man würde sie
bestimmt freilassen, wenn sie unschuldig war, und wenn sie schuldig war, dann
war alles Reden umsonst. Diese Entschuldigung dafür, daß er sich nicht
einmischen wollte, war so alt wie die Welt, und er wußte, daß sie unaufrichtig
war. Es war eine Lüge, daß jeder Unschuldige freigelassen wurde, das
war ihm bekannt, aber er sprach vom Grundsatz der nicht vorhandenen Gerechtigkeit,
um sich ruhigen Gewissens abseits halten zu können. Vor dem, was geschehen
konnte, war er selbstverständlich machtlos.
So sagten wir beide, was wir
wollten, was wir konnten, was wir durften, und alles blieb, wie es war. Wir
spielten ein wenig mit dem Gewissen, obwohl mir die Frau wirklich leid tat, und
dann erklärte Mula Ibrahim, er habe wegen einer Arbeit mit mir sprechen wollen.
Die Angehörigen des getöteten Imams aus Župča wollten ihm einen Grabstein
setzen und suchten nun jemand, der eine Inschrift verfaßte, die sie dann
einmeißeln konnten. Da hatte er sich meiner erinnert, sicher würde ich das gut
machen, und es sollte auch nicht umsonst sein, für den Tod zahlten die Bauern
ebenso großzügig wie für Beschwerdeschriften.
Ich dankte ihm und dachte mir dabei,
daß wir statt eines barmherzigen Werks kurzerhand eine nützliche Sache verabredet
hatten, von der man lebte. Allein darin konnten sich die Menschen noch
miteinander verständigen.
Als ich Tijana sagte, daß ich am
nächsten Tag nach Župča gehen würde, hob sie die Schultern und lachte.
»Ich hätte mir nicht träumen lassen,
daß mein Mann einmal Grabinschriften aufsetzen würde.«
»Sie haben mir angeboten, Mufti zu
werden, aber das wollte ich nicht.«
»Daran hast du recht getan. Was wäre
ich für eine Muftifrau?«
Anderntags brach ich frühzeitig auf.
Ich wanderte langsam, betäubt von dem funkelnden Schnee im Sonnenlicht und von
dem Ausblick, der sich von den Anhöhen öffnete, ich vergaß die Müdigkeit der
des Gehens ungewohnten Füße, fühlte mich in der Stille der weiten Ebenen und
mächtigen Berge von meinen Sorgen befreit. Wir drängten und stießen uns in den
stickigen Städten, haßten und störten einander, hier aber war die Welt noch wie
einst, rein und unberührt, das uralte Gesetz der Schönheit und Ruhe bestimmte
den Rhythmus des Herzens. Von hier aus wirkte unten in den Niederungen alles
winzig und unbedeutend. Gestern hatte ich einen Leidensgefährten aufgesucht, um
den Gedanken an die eingekerkerte Frau loszuwerden,
und ich war verbittert heimgekehrt, weil es mir nicht gelungen war, mich selbst
zu betrüben. Heute hatte ich sie fast vergessen. Und wenn ich sie auch nicht
vergessen hatte, so erschien mir doch alles leichter.
In Župča wurde ich herzlich
empfangen. Mula Ibrahim hatte Nachricht gegeben, daß ich kommen würde. Der
Bruder des Imams setzte mir zu essen und zu trinken vor, wollte mir zeigen, wo
ich schlafen sollte, und wunderte sich sehr, als ich erklärte, daß ich nicht
übernachten, sondern meine Arbeit sofort erledigen würde. Er war auch ein wenig
enttäuscht, denn er mochte keine Hast,
Weitere Kostenlose Bücher