Die Festung
vergebens fragen, Mula Ibrahim würde mit stummen Gesten verneinen, er
würde leugnen und sich über meine Frage wundern.
Der vorsichtige Halil hatte alle
Fäden zerschnitten, und so verteilte sich das Geheimnis auf viele Menschen.
Hatte ich Ramiz sehen wollen? Ich
wußte es nicht, vielleicht hätte ich mich neuer Gefahr und der neuerlichen
Angst ausgesetzt, jemand könnte von dieser Begegnung hören. Ähnliches hatte ich
schon früher erfahren, ein einziger Schritt zog zahllose Folgen nach sich.
Dennoch tat es mir leid, daß wir uns
nicht getroffen hatten. Ich hatte viele Fragen an ihn, über die Menschen und
über das Leben. Ich wußte, was er mir geantwortet hätte, doch vielleicht
hätten mir seine guten Absichten und seine starke Hoffnung Vertrauen gegeben.
Ich brauchte dieses Vertrauen. Lieber lebte ich mit falscher Hoffnung als mit
sicherer Hoffnungslosigkeit.
In der Stadt indessen erwartete mich
Mahmut mit einer schlechten Nachricht. Er war im Haus der eingesperrten Frau
gewesen, um nach dem kranken Mann zu sehen und ihm Essen zu bringen. Und dort
herrschte Trauer: Die Frau war im Kerker gestorben. Niemand wußte, woran, an ihrer
Angst, an ihrer Krankheit, an den Folterungen?
Eine schlechte Nachricht, ein
sinnloser Tod.
Mir kam nicht in den Sinn, mich zu
fragen, woher Mahmut den Mut genommen hatte, das verratene Haus zu betreten.
Und ob er ein so starkes Bedürfnis hatte, jenen zu helfen, denen es noch
schlimmer erging als ihm.
Der rastlose Spürhund
Osman Vuk kannte sicherlich das ganze
Geheimnis, Šehaga wußte so viel davon, wie ihm lieb sein konnte, der Serdar
Avdaga so viel, wie er erraten hatte. Und leider hatte er viel erraten, der
Teufel selbst schien es ihm eingeflüstert zu haben.
Ich hätte mir nicht träumen lassen,
daß mir Ramiz mehr bedeuten würde als jeder beliebige Mensch, der meinen
Lebensweg kreuzte, den ich bemerkte und wieder vergaß, der dagewesen und wieder
verschwunden war wie ein gern gesehener Freund, von dem man sich in Frieden
verabschiedet hat, wie von einer Frau, die man geliebt hat und an deren Namen
man sich später nicht mehr erinnert (das war nicht mein Gedanke, ich hatte nur
wenige Freunde und Frauen gekannt, sondern ich hatte es von Osman gehört und
mir gemerkt, weil mich seine heitere Schamlosigkeit so überraschte). Aber ich
war so fest mit Ramiz' Schicksal verbunden, daß ich an nichts anderes denken
konnte.
Der Serdar Avdaga zwang mich dazu.
Die Zeit verging, doch er verlor die
Entführung nicht aus dem Sinn. Anfangs glaubte ich, seine Vorgesetzten hätten
ihn zu diesem Eifer angestachelt, aber das erwies sich als Irrtum. Sie hatten
so viel Ärger mit Šehaga (er war von seinem seltsamen Ausflug heimgekehrt, ohne
Pferd, ohne Geld, ohne Pelz, schmutzig, abgemagert, schweigsam, er sprach nicht
darüber, daß er fortgegangen, geschweige denn, wo er gewesen war), er machte
ihnen so viel Kummer, sie hatten solche Angst vor seinem Haß, daß sie voller
Sorgen um den eigenen Kopf weder an den Studenten Ramiz dachten noch an den
Serdar Avdaga. Und all das, weil Šehaga dem Wali gegenüber geäußert hatte, der
Teufel möge sie holen. Ich wußte nicht, ob er das als persönlichen Wunsch
formuliert oder ob er im Namen des Volkes – in dessen Namen Gutes und Böses
getan wurde – darum gebeten hatte, ihrer Tyrannei Einhalt zu gebieten,
jedenfalls hörte man, daß der Kadi nach Zvornik und Zafranija nach Srebenik
versetzt werden sollten und daß sie dort lange bleiben würden, der eine als
übelbeleumdeter Kadi, der andere als abgewirtschafteter Schreiberling, sofern
ihnen nicht der glückliche Umstand zu Hilfe kam, daß der Wali gestürzt oder
abgelöst wurde. Solche Fälle waren weder selten noch ungewöhnlich, doch bisher
bestand darauf keine Aussicht, und sie hingen sozusagen in der Luft. Grün vor
Wut und Ärger liefen sie herum, schickten Beschwerden nach Konstantinopel, versuchten
durch Bitten oder Drohungen zu erreichen, daß die Leute sich bei der Obrigkeit
für sie verwandten, damit sie in Sarajevo bleiben könnten, da es bessere
Staatsdiener und Volksfreunde (als wäre dies beides vereinbar) nie gegeben habe
und nie geben werde; sie bemühten sich um Beschützer und Verbündete, doch alles
vergebens. Eine Antwort aus Konstantinopel traf nicht ein, denn niemand dachte
auch nur daran, ihnen zu helfen, Beschützer und Verbündete fanden sie nicht,
weil sie sie nicht gesucht hatten, als sie stark waren, sondern nachdem sie in
Ungnade gefallen waren, und so
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