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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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du nicht als Heldentat, sondern
als Pflicht. Wem aber bin ich verpflichtet? Und warum ausgerechnet ich? Such
dir jemand, der besser geeignet ist, mit mir vergeudest du nur Zeit.
    Aber es hockte da, schwieg und
wartete auf seine Stunde. Eine Stunde, in der ich mich hinreißen ließ oder den
Kopf verlor. Es konnte sein, daß diese Stunde nicht kam, die Aussichten waren
immer geringer.
    Mein Gespräch mit dem Gewissen brach
ab, als Mahmut vom Klosett zurückkam und noch einen Kräuterschnaps bestellte,
um seine Magenkrämpfe zu besänftigen. Er sagte, daß er dort, mit Verlaub, über
mich nachgedacht habe und zu dem Schluß gelangt sei, daß ich recht habe. Es sei
unwürdig, sich zu fürchten. Zwar sei es nicht leicht, sich nicht zu fürchten,
aber das andere sei unwürdig. Man verbringe sein Leben in Angst, und das sei,
als hätte man überhaupt nicht gelebt. Was sollte man dann mit seinem Leben? Man
dürfe sich jedoch auch nicht in eine Sache verrennen, und am besten sei es
wohl, ich redete mit Šehaga, damit er uns irgendwie Avdaga vom Hals schaffte.
    Ich antwortete, daß er sich den
richtigen Ort ausgesucht habe, um über mich nachzudenken, und daß er die Zeit
nicht nutzlos vertan habe. Das mit Šehaga sei eine gute Idee, nur schade, daß
Šehaga abwesend sei, doch wir würden auf ihn warten. Wenn Avdaga bereit sei zu
warten. Dem Wagemut gelte all meine Anerkennung, besser sei es jedoch ohne ihn.
Es sei gut, niemanden zu fürchten, wenn man das könne, doch noch besser sei es,
nicht dazu gezwungen zu sein. Das Heldentum dauere einen Augenblick, die Angst
das ganze Leben, und es sei vernünftiger, an das ganze Leben zu denken als an
einen Augenblick. Am besten sei es, sich im voraus zu fürchten, damit man es
nicht nachträglich tun müsse.
    Ich redete so daher, ohne auf den
Sinn zu achten, denn es war gleichgültig, und Mahmut hörte mir bewundernd zu,
gerade weil ich mich so unklar ausdrückte, und dann konnte er beruhigt an seine
Geschäfte gehen. Vorher fiel ihm jedoch noch ein, daß Mula Ibrahim nach mir
gefragt hatte. Er erzählte mir auch, daß die Frau, bei der Ramiz gewohnt hatte,
eingesperrt worden sei. Daran sah ich, daß ihn seine eigenen Sorgen nicht mehr
so bedrückten. Er brachte es endlich fertig, auch an mich zu denken.
    Die Nachricht über die unbekannte
Frau bestürzte mich. Auch an ihrem Unglück trug ich Schuld.
    Jetzt hatte ich zwei Gründe, Mula
Ibrahim aufzusuchen, einmal, weil er nach mir gefragt hatte, und zum zweiten,
weil auch ich mit ihm sprechen wollte.
    Ich wollte ihn fragen, ob wir etwas
für die eingesperrte Frau tun könnten. Ich hatte nicht einmal gewußt, daß sie
existierte, und doch hatte ich sie in Not gebracht. Vielleicht wäre sie auch
eingesperrt worden, wenn Ramiz nicht entkommen wäre, doch diese Vermutung war
zu unsicher, als daß sie mir das Schuldgefühl nehmen konnte. Es war nicht
besonders groß oder schwer, eher so, als wäre auf dem Gipfel eines Berges ein
Stein unter meinem Fuß weggerollt und hätte jemanden am Fuß des Berges
getroffen. Ich war weder bewußt noch mittelbar schuldig, ich hatte den
Getroffenen weder gekannt noch gesehen, aber ich hatte den Stein ins Rollen
gebracht. Also würde ich versuchen zu helfen. Später wollte ich über die
seltsame Ordnung dieser Welt nachdenken, in der man so häufig, wenn man Gutes
tat, auch Böses verursachte. Hatte aber das Gute einen Wert, wenn es sich ohne
das Böse nicht durchsetzen ließ?
    Ich dachte nicht an das Ziel,
sondern an den Menschen, deshalb war jeder meiner Schritte unsicher.
    Ich wußte, Mula Ibrahim würde über
die Frau nicht einmal sprechen wollen, aber ich würde darauf bestehen. Wenn
auch nur, um mich wieder davon zu überzeugen, daß selbst anständige Menschen
ihrem Nächsten nicht freiwillig halfen. Bisweilen war es nützlich, zu wissen,
daß andere schlimmer waren als man selbst. Mein Gewissen würde dies als unehrenhaft
zurückweisen und mich an die Verantwortung erinnern, die jeder Mensch vor sich
selbst trug, doch ein kleiner, wenn auch kurzer Trost konnte es sein.
    Ich traf Mula Ibrahim in seinem
Laden an und sagte, ich sei wegen jener Frau gekommen. Ich sagte es flüsternd,
damit kein anderer hörte, daß ich für sie bat, doch lieber hätte ich laut
gesprochen, seinetwegen, damit auch andere hörten, wie er Hilfe verweigerte.
    Schweigend, kopfschüttelnd,
abwinkend verweigerte er Hilfe und Antwort.
    Es freute mich nicht, daß ich recht
gehabt hatte. Würde ihr wirklich niemand helfen?
    Ich

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