Die Festung
Held kann ich
nicht sein, selbst wenn ich wollte, ich schaffe es nicht ... Siehst du, wenn
ich nur daran denke ... gedulde dich einen Augenblick, ich bin gleich
zurück....«
Und er rannte zum Klosett.
Ich lachte über seine Pein. Sie war
unangenehm, sicher, aber dennoch zu komisch. Er sprach wie ein Kind über seine
Angst, ganz offen und direkt, ohne jede Würde. Die Angst ist häßlich, wenn man
sie bei anderen bemerkt.
So würde ich es nicht machen! Ich
hatte ziemlich unaufrichtig und nur zu seiner Ermutigung gesagt: Man stirbt
nur einmal. Aber jetzt dachte ich wirklich so. Das war kein Mut, sondern die
Scham des Erniedrigten. Mir indessen schien, daß die Angst die größte Schande
dieser Welt war und die größte Demütigung des Menschen. Sie hing über ihm wie
eine Geißel, sie zielte auf seine Kehle wie ein Messer. Der Mensch war von der
Angst umzingelt wie von einem Feuer, er ertrank darin wie in Wasser. Das
Schicksal erschreckte ihn, der morgige Tag erschreckte ihn, das herrschende
Gesetz, ein mächtigerer Mensch, und er war nicht, was er gern hätte sein
wollen, sondern was er sein mußte. Er schmeichelte dem Schicksal, betete zum
morgigen Tag, wiederholte gehorsam das Gesetz, lächelte demütig den finsteren,
mächtigeren Menschen an, er ergab sich darein, eine Mißgeburt aus Angst und
Zustimmung zu sein.
Wenn er traurig war, dann deshalb,
weil er daran dachte, wie er sich selbst ersehnt und erträumt hatte, daran, wie
er hätte sein können, wäre er nicht das gewesen, was er war. Und wäre die Welt
nicht so gewesen, wie sie war.
Das würde ich nicht tun!
Ich sagte: Ich habe keine Angst vor
dir, Schicksal! Ich habe keine Angst vor dir, morgiger Tag! Ich habe keine
Angst vor dir, mächtigerer Mensch! Wenn ich das in Gedanken sagte, dann
bangend. Halb frei, entzweit. Die eine Hälfte floh in die Einsamkeit, weil sie
nicht zustimmen konnte, die andere schwieg, weil sie nicht leiden wollte.
Dann war ich ein ebensolcher
Feigling wie Mahmut. Nur auf andere Art.
Freiheit lag in der Tat, und die war
für mich unerreichbar.
Meine Kräfte waren gering, ich hätte
wenig tun können, um weder nutzloses Opfer noch schweigender Nörgler zu sein.
Böses gab es viel, doch meine Hand reichte nicht weit.
Warum dachte ich dann an diese
befreiende Tat, wenn sie nicht zu verwirklichen war?
Sollte ich
sprechen und für immer schweigen?
Sollte ich
handeln und nie wieder etwas tun?
Sollte ich schweigen, zufrieden,
weil ich am Leben war?
Aber wenn ich auch in das Opfer einwilligte, obwohl ich nicht wußte wofür wie konnte ich
sicher sein, daß ich niemandem schaden würde?
Ich hatte den Anstoß zu Ramiz'
Rettung gegeben und dabei Avdija vernichtet.
Sollte ich also gleichgültig bleiben
und der Welt ihren Lauf lassen, da ich sie ohnehin nicht ändern konnte?
Alle Argumente sprachen dafür, daß
dies das beste war, nur eines gab mir keine Ruhe: das Argument des Gewissens.
Ich wußte nicht, woher ich es hatte, ich wußte nicht, wozu ich es hatte, es
störte mein Leben, aber ich konnte mich seiner nicht entledigen.
Laß mich in Frieden, sagte ich zu
diesem ungebetenen Gewissen, was soll ich in meiner Hilflosigkeit mit dir anfangen?
Aber es hockte in einem Winkel meines Herzens, bisweilen schläfrig, bisweilen
hellwach, und es wollte sich nicht von mir verabschieden. Du bist lächerlich,
sagte ich, in deiner Nutzlosigkeit. Du bist überflüssig. Ich freue mich nicht,
dich zu besitzen, ich empfinde keine Befriedigung, weil du dich in mir
eingenistet hast, du adelst mich nicht, sondern schadest mir. Warum hast du dir
keinen Mächtigen, Starken, Unerschrockenen und dennoch Redlichen gesucht? Wenn
es so einen nicht gibt, ist das meine Schuld? Du hast dich bei mir verkrochen
wie ein Waisenkind und schweigst wie ein Waisenkind, du verlangst nichts,
überredest mich zu nichts, überläßt alles meiner Entscheidung, und das geht
gut, solange ich dich vergesse, doch wenn ich mich deiner erinnere, schäme ich
mich. Ich weiß nicht warum, denn ich bin dir nicht verpflichtet. Ich weiß nicht
einmal, was du bist, nur eine Anwesenheit, die keine Gestalt hat, eine stumme
Mahnung, die sich auf keine Argumente beruft, ein Wegweiser ohne sichtbares
Ziel: Mein Herz muß es selbst herausfinden. Wie soll es danach suchen, und wie soll
es nicht zurückschrecken, wenn die Suche Erfolg hatte? Du bist unvernünftig, du
lernst nicht aus den Erfahrungen anderer, du verachtest die Gefahr, du weist
mir gefährliche Wege, und all das betrachtest
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