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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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schon gar nicht in Dingen, die für die
Ewigkeit getan wurden. Ich beruhigte ihn mit der Erklärung, daß ich mir zu
Hause alles überlegt und mich mit Mula Ibrahim und anderen gelehrten Männern
beraten hätte, so daß ich mehrere Inschriften im Kopf trüge, unter denen wir
die schönste aussuchen würden.
    Ich wollte, daß ihm die ganze
Angelegenheit seriöser erschien, falls er den Eindruck hatte, daß ich zu jung
und unreif dafür sei. Eine fertige Inschrift hatte ich nicht, keine einzige,
durch meinen Kopf schwirrten zahllose Worte, alle möglichen, und ich wußte
nicht, welche zu dem toten Imam paßten. Im Grunde war es dem Verstorbenen
gleichgültig, was man ihm auf den Grabstein schrieb, aber seine Verwandten
mußten zufriedengestellt werden, ihre Eitelkeit, vielleicht auch ihr Schmerz,
und das war nicht einfach. Am wenigsten konnte ich falsch machen, wenn ich über
den Toten das Beste sagte, aber ich wußte nicht, was die Familie für das Beste
hielt und was sie festgehalten haben wollte.
    Ich fragte, damit ich die
Entscheidung nicht selbst treffen müßte. Aber der Bruder des Imams, ein
schwerfälliger Bauer, wortkarg und verschlossen, machte mir die Arbeit ziemlich
schwer.
    »Hat er die Menschen gern gehabt?«
begann ich, denn das erschien mir am sichersten.
    Seine unerwartete Antwort brachte
mich in Verlegenheit: »Die einen ja, die anderen nicht. Wie jeder.«
    »Hat er gewußt, was ihn erwartet,
als er sich dem Befehl des Sultans widersetzte?«
    »Aber nein! Hätte er es gewußt, er
hätte sich nicht ein gemischt. Wer hätte geglaubt, daß es einem dafür an den
Kragen gehen würde! Nein, er hat es nicht gewußt. Wir hatten vereinbart, daß
wir unter Druck zahlen würden.«
    »Aber er
war sicher ein tapferer Mann.«
    »Eigentlich
nicht. Er hatte vor allem Angst.«
    »Warum war
er dann gegen die Kriegshilfe?«
    »Was heißt warum? Jeder ist dagegen,
wir wollen keinen Krieg, und wir haben auch kein Geld übrig. Er hat nur gesagt,
was alle denken.«
    »Dann war
er ein guter Mensch.«
    »Ein guter Mensch zu sein ist
leicht. Schwer ist es, am Leben zu bleiben.«
    »Hat er die
Obrigkeit gehaßt?«
    »Gott
bewahre! Warum sollte er?«
    »Und du?«
    »Was ich?«
    »Haßt du
die Obrigkeit? Sie hat deinen Bruder getötet.«
    »Wenn ein Mensch durch Steinschlag
umkommt, haßt du dann den Stein?«
    »Es sind
Menschen, keine Steine.«
    »Es sind
keine Menschen, sondern die Obrigkeit.«
    »Wollen wir aufschreiben, daß der
Bruder oder die Familie den Stein errichtet?«
    »Warum
denn? Wer sollte ihn sonst errichten?«
    »Was soll ich dann aufschreiben?«
    »Tja, das
weiß ich nicht.«
    Verwirrt und ohne Ziel, ohne die
Sicherheit, die ich eben noch gespürt hatte, entwarf und verwarf ich, bis außer
dem Geburts- und Todesjahr nur ein einziger Satz übrigblieb: »Er war ein guter Mensch,
er ist unschuldig gestorben.«
    Auch das gefiel ihm nicht. Der Imam
sei ein guter Mensch gewesen, das stimme, aber warum müsse man sagen, daß er
unschuldig gestorben war? Jeder sterbe unschuldig, Schuld lade er nur auf sich,
solange er lebe.
    Danach einigten wir uns mit Mühe auf
diesen Text: »Er war ein guter Mensch – er starb, ohne Schuld auf sich geladen
zu haben. Allah gebe ihm die ewige Seligkeit.«
    Von dem letzten wußten wir weder,
was es bedeutete, noch wozu es gut war, aber es klang feierlich und schön, und
ihm gefiel es.
    Er bedankte sich und zahlte ehrlich,
und ich rüstete zum Heimweg. Aber er wollte mir etwas sagen, ich hatte es schon
zuvor bemerkt, doch er hatte es immer wieder verschoben, und ich glaubte schon,
er würde es dabei lassen. Diese Menschen verschweigen viel mehr, als sie
aussprechen. Dennoch sagte er: »Kennst du Halil Kovačević?«
    »Ich wüßte nicht, daß ich den Namen
jemals gehört hätte.«
    »Sein Bruder tut Dienst bei Šehaga
Sočo. Er hütet ihm das Haus.«
    »Den habe ich, glaube ich, gesehen.
Ein großer, knochiger Mann.«
    »Halil hat darum gebeten, daß du ihn
besuchst. Es ist nicht weit, das dritte Haus von hier.«
    »Warum soll
ich hinkommen?«
    »Jemand hat
nach dir gefragt.«
    »Wer?«
    »Das weiß
ich nicht.«
    Ich glaubte, der vermißte Šehaga
hielte sich in diesem Bergdorf versteckt und die Bauern wollten, daß ich ihn
mitnahm, damit sie ihn los wurden. Sechs Tage waren vergangen, seit er sein
Haus verlassen hatte.
    Halil Kovačević erkannte
ich sofort, er sah Šehagas Hausbewahrer so ähnlich wie ein Zwillingsbruder.
    »Ich bin Ahmet Šabo. Warum hast du
mich rufen

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