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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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gefreut hatte, ohne zu ahnen, wie schwer sie mir fallen würde;
ich dachte auch an mein häßliches Zimmer, das mir jetzt vorkam wie der schönste
Platz auf der Welt, ich dachte an meine ärmliche Gasse mit den schiefen
Lattenzäunen, ich dachte an alles, was zu mir gehörte, mochte es sein, wie es
wollte.
    Ich dachte und grämte mich.
    Zum Glück taten mir der Rücken und
das Gesäß vom Reiten weh, das Schlingern des Schiffs verursachte Magenbeschwerden,
die hohen Wellen und das unabsehbare Meer erschreckten mich, und so rettete
mich die körperliche Pein vor der seelischen.
    Šehaga war mutiger und heiterer als
ich. Er war an diese zweifelhaften Vorzüge des Reisens gewöhnt und hatte auch
eine andere Natur. Ich wußte nicht, was von mir erwartet wurde, aber er hatte
sich in der Gewalt und tat nur, was sein Stolz von ihm verlangte, außer wenn
ihn Trauer überwältigte. Ich wußte zwar nicht, ob er genauso empfand, wie sein
Gesicht es ausdrückte, aber sein liebenswürdiges Lächeln und sein ruhiger
grauer Blick entdeckten mir einen neuen Šehaga, als hätte ihn diese Reise
völlig verwandelt. Er lebte auf, alles, was er sah, interessierte ihn, er
behandelte alle Menschen höflich und freundlich, beklagte sich nicht über Logis
und Kost, er war in einer seltsamen Hochstimmung, als erwartete er etwas
Besonderes von dieser Reise.
    Mir begegnete er mit dem schönen
Lächeln eines vertrauten Menschen, er sprach nicht über häßliche Dinge, nicht
von seinem Haß, er verschloß sich nicht mehr, er erzählte von seinem Sohn und
seiner. Trauer um ihn, zwar karg und zurückhaltend, aber im Vergleich zu seiner
sonstigen Schweigsamkeit völlig überraschend. Er sprach auch von mir, von
meiner Zukunft mit vielen Kindern ich solle nicht mit dem Schicksal hadern, wenn
es nur bei einem bliebe –, mit einer Arbeit, die mir Freude machte, mit einer
Familie, die mich liebte, damit ich eine Festung hätte, in die ich mich vor der
Welt flüchten könne. Nichts sei für den Menschen wichtiger als seine Ruhe und
sein Glück, das er sich selbst schaffe. Deshalb müsse man dieses Glück hüten
und beschirmen, und man dürfe niemandem erlauben, es zu bedrohen. Kein
anderer dürfe mich kümmern, das Leben sei grausam und die Menschen schlecht,
man müsse sie fernhalten von allem, was einem gehörte und was man liebte.
    Ich teilte seine Meinung nicht, die
von Erfahrung sprach, wie sie dem Menschen die Weisheit eingibt, wenn er sie
nicht mehr braucht. Erfahrung und Weisheit waren ein Unglück, kein Vorteil.
    Sie hemmten einen auf Schritt und Tritt,
sie vereitelten jeden Versuch, sie boten zahllose Beweise dafür, daß es am
besten war, zu schweigen, sich ruhig zu verhalten, abseits zu stehen und
zuzuschauen. Was der Student Ramiz getan hatte, war gegen jede Weisheit und
Erfahrung, aber er machte den Menschen Hoffnung. Die Weisheit war etwas für
Feiglinge und Verzweifelte, die Erfahrung nützte den Kriechern. Sie lehnte das
Bestehende ab, doch sie widersetzte sich ihm nicht. Nur Unerfahrenheit und
Torheit verliehen einem Flügel. Wer die bitteren Erfahrungen anderer nicht
achtete, der zerschellte. Aber er war einen Moment lang geflogen, hatte sich
aus dem Morast erhoben, hatte eine schöne und unsterbliche Erinnerung
hinterlassen. Wenn es mehr von dieser mutigen Torheit gäbe, wäre die uralte
Erfahrung vielleicht kein Schrecknis mehr.
    Ich sagte ihm nicht, was ich dachte, denn seine
Erfahrung war zu schmerzlich, und es wäre grausam gewesen, ihm mit leeren
Behauptungen zu widersprechen, an die ich mich im Leben selbst nicht hielt.
    Auf dem Schiff bemerkte ich eine
Veränderung an Šehaga. Plötzlich wurde er zurückhaltend, verschloß sich, blieb
häufiger allein. Er sprach wenig und ohne die frühere Sicherheit, fast
erschrocken, in sich gekehrt. Oder er hielt mitten im Wort inne, mit weit
geöffneten Augen, und verharrte, als wäre ihm etwas Schmerzliches eingefallen
oder als lauschte er einer Stimme, die nur er verstand. Das pflegte nur einen
Augenblick zu dauern, danach zweifelte ich, ob es überhaupt gewesen war, doch
meine eigene Unruhe überzeugte mich, daß ich mich nicht irrte.
    Ich glaubte, daß es Momente waren,
in denen ihn seine Erinnerungen überfielen, denen niemand entfliehen konnte.
Das wäre für mich und für ihn schlecht gewesen, wir wären einander unerträglich
geworden. Aber wann immer er aus seiner düsteren Einsamkeit zurückkehrte, war
er liebenswürdig wie eh und je, und ich verwarf jeden Zweifel. Er konnte

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