Die Festung
mit der Ladung Wolle schon früher eingetroffen war. Er wollte sofort von Geschäften zu sprechen beginnen,
doch Šehaga unterbrach ihn mit müder Geste.
Osman Vuk brachte uns in einen
Gasthof am Kanal, Šehaga bekam ein schönes Zimmer mit Vorraum, ich ein
kleineres neben ihm.
Ich setzte mein Gepäck ab, wusch
mich und ging zu Šehaga, um zu besprechen, was wir an diesem Tag tun würden. Es
überraschte mich, daß er angekleidet auf dem Bett lag.
»Fühlst du dich nicht wohl?«
»Ich ruhe mich ein wenig aus.« Er
lächelte. »Die Jahre sind unerbittlich. Früher haben mir Reisen nichts ausgemacht.«
»Versuche zu schlafen. Ich komme
später wieder.«
Osman saß in dem kleinen Salon im
Obergeschoß. Er wußte, daß Šehaga sich hingelegt hatte, aber das enttäuschte
ihn mehr, als daß es ihm Sorgen machte. Als ich sagte, Šehaga sei von der Reise
ermüdet, schüttelte er mißtrauisch den Kopf.
»Wäre er nur müde, hätte er sich
nicht hingelegt. Man kommt doch nicht aus Bosnien nach Venedig, um sich in
seinem Zimmer zu verkriechen, oder? Mir gefällt ganz und gar nicht, wie er
aussieht.«
Das wiederholte er auch, als wir in
mein Zimmer gingen. Er jammerte sogar, daß gerade ihm das passieren mußte. Und
ohne daß ich ihm lange zuzureden brauchte, gestand er, daß er sich für diesen
Abend mit ein paar Griechen und einem Herzegowiner zum Würfelspiel verabredet
hatte. Nun würde er nicht hingehen können und den sicheren Gewinn einbüßen,
einmal, weil der Aga ihn sicher brauchte, wenn er sich eine Erkältung oder
Magenverstimmung zugezogen hatte, zum zweiten, weil er das Geld vom Wollverkauf
bei sich hatte, und eine solche Summe trug man nicht nachts mit sich herum,
schon gar nicht hier in Venedig. So war es eben, wenn einen Armen das Pech
verfolgte. Dabei hatte er am Vorabend verloren, nur um den Griechen diese Nacht
schmackhaft zu machen.
»Seit wann bist du arm? Du verdienst
doch gut – wo hast du dein Geld gelassen?«
»Ich kann es nicht zusammenhalten,
es rinnt mir durch die Finger.«
»Wofür gibst du es aus? Für Frauen?«
»Ach, wofür nicht alles!«
»Und wenn du heute abend auch
verlierst?«
»Du denkst wohl an den aus
Brčko?« Er lachte. »Das war etwas anderes. Der aus Brčko ist der
König der Würfelspieler, und die hier sind Händler. Sie haben zwei
Schiffsladungen Olivenöl verkauft. Ich schätze, eine davon wird mir gehören.«
»Ist es denn anständig, den Leuten
soviel Geld abzunehmen?«
»Sie würden es genauso machen.«
»Gut, ich bleibe bei Šehaga. Und du
geh zu deinem Teufelskram. Das Geld von der Wolle kannst du mir geben. Schreib
auf, wieviel es ist.«
»Es ist mir peinlich, dich damit zu
belästigen. Vielleicht mußt du die ganze Nacht aufbleiben. Es ist mir wirklich
peinlich.«
»Ich weiß, daß es dir nicht peinlich
ist, du willst nur den Handel perfekt machen. Deshalb hast du mir all das
erzählt, damit ich dich vertrete.«
»Ehrlich gesagt, ja«, gab er lachend
zu. »Also, vielen Dank, ich werde mich revanchieren.«
»Was könnte Šehaga deiner Meinung
nach haben?«
»Sicher hat er sich den Magen
verdorben. Ich sag dem Wirt, daß er Kamillentee macht, den gib ihm. Vielleicht
ist es auch gar nicht nötig.«
Er schwächte die Gefahr ab, um sich
zu rechtfertigen. Schließlich würde er die Nacht beim Würfelspiel verbringen
statt bei dem kranken Aga.
»Warum kommt Šehaga jedes Jahr nach
Venedig?« fragte ich ihn, der alle Geheimnisse kannte.
»Er war mit seinem Sohn hier. Bevor
er in den Krieg gezogen ist. Der Sohn hat den ganzen Abend Narreteien
getrieben. Du wirst es sehen, morgen besucht Šehaga alle Orte, wo sich sein
Sohn vergnügt hat.«
Was für eine Not! Die Wirklichkeit
war trauriger als alles, was wir uns ausdenken konnten.
Am Abend näherte sich der
Karnevalslärm unserem Gasthof, und Šehaga wollte aufstehen und zuschauen, aber
er sank zu Boden, als wären seine Beine aus Lehm. Ich konnte ihn gerade noch auffangen. Entsetzt
über die Schwäche dieses starken Mannes, bat ich ihn, sich auszukleiden und zu
Bett zu gehen, den Karneval konnten wir auch noch tags darauf sehen.
Er war so kraftlos, daß er mir
erlaubte, ihm zu helfen. Er legte sich hin, schloß die Augen, er öffnete sie
auch nicht, als das Getöse unsere geöffneten Fenster erreichte.
Ich schaute auf die Straße. Hunderte
Männer und Frauen in den ausgefallensten Kostümen drängten einander in unbeschreiblichem
Getümmel, die Stimmen verschmolzen zu einem starken Geräusch, in dem
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