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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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das wußte ich, ich kannte sie
beide. Was wollte ich also, warum dachte ich nach?
    Ich grübelte, wühlte in mir, ich
suchte nach der verborgenen Absicht und fand sie nicht, sicher, daß es sie
nicht gab. Eine andere Lösung wäre nicht möglich gewesen, jetzt sah ich es,
aber an diese hatte ich keinen Augenblick gedacht. Ich hätte daran denken
müssen, doch ich hatte es unterlassen.
    Konnte ein Mensch sein Gewissen so
vollkommen einschläfern? Konnte er einen Gedanken zertrennen wie einen
Bindfaden und sich die Frage nach den Folgen verbieten, weil er sie nicht
erfahren wollte? Offenbar ja. Der Instinkt schützte uns durch völliges
Vergessen, um uns die Qual der Verantwortung zu ersparen. Ich hatte alles in
Osmans Hände gegeben, damit er allein entschied, ohne mich, ohne mein Zutun.
    Wenn es so war – und eine andere
Erklärung gab es nicht –, dann war der Mensch ein ziemlich schmutziges
Geschöpf, selbst wenn er sich über seine Handlungen keine Rechenschaft gab.
Denn er wollte sich keine Rechenschaft darüber geben.
    Und der listige Instinkt hatte
dennoch sein Ziel erreicht: Ich war schlechter Stimmung, aber ich fühlte mich
nicht verantwortlich. Ich konnte nicht für etwas verantwortlich sein, was nicht
mein bewußter Plan und Entschluß gewesen war. Ich bildete mir sogar ein, daß
alles auch ohne mich geschehen wäre (zum wievielten Male schon!), denn Osman
hatte alles über Avdaga gewußt. Es wäre unwahrscheinlich gewesen, daß er erst
auf meine Warnung gewartet hätte, um sich zu entscheiden.
    So suchte meine befangene
Vorstellungskraft, dieser mein hartnäckiger Verteidiger, neue Erleichterungen
für mein Gewissen. Und das Gewissen nahm die Verteidigung an, ordnungshalber
zwar mit dem Schatten leisen Zweifels und mit etwas Unbehaglichkeit, aber auf
gutem Weg, vollkommen ruhig zu werden.
    Als ich Tijana von Avdagas Tod
erzählte, sagte sie empört: »Wie dumm die Menschen sind! Sie tun Böses, damit
es ihnen mit Bösem vergolten wird.«
    Einst hatte sie gesagt: Wie
unglücklich die Menschen sind.
    Jetzt glaubte sie, daß jede böse Tat
bestraft werden mußte. Sie konnte und wollte nicht anders denken, da sie dabei
war, eine Familiengemeinschaft zu gründen.
    Ein Tod also, und soviel Grübeleien
darüber. Und niemandem war dieser Tod wichtig, sondern das, was er über ihn
dachte.
    Šehaga Sočo forderte mich auf,
ihn nach Venedig zu begleiten. Weil ein junger Mensch die Welt kennenlernen
müsse, weil er, Šehaga, nicht allein sein wolle und mich in seine Dienste zu
nehmen wünsche. Wenn ich nicht in seinen Dienst treten wolle, obwohl es Zeit
sei, etwas in Angriff zu nehmen, so würde mir diese Reise auch nicht schaden,
später würde mir das eintönige Leben leichter fallen. Er bot mir Geld für Tijana an, sie durfte in
unserer jetzigen Behausung wohnen bleiben oder zu ihm übersiedeln. Dies hielt
er für das beste. Sie würde ihr Zimmer und Bedienung haben, sich um nichts
kümmern müssen, sie würde sich mit seiner Frau unterhalten können, wenn ihr der
Sinn danach stand. Die beiden würden sich vertragen, er habe über Tijana nur
das Beste gehört (von wem wohl? von Osman?), und auch seine Frau sei ein guter
Mensch, als wäre sie nicht von dieser Welt. Wenn sie um den Sohn weinte (sie
könne ihn einfach nicht vergessen und rede mit ihm, als lebe er noch), dann
solle Tijana sie trösten oder allein lassen, sie würde ihr nichts verübeln.
Auch er würde sich erleichtert fühlen, wenn jemand Bekanntes bei ihr wäre. Wenn
es Tijana gefiele, könnten wir für immer bleiben, auch für das Kind wäre es
besser, der Hof sei groß, das Haus geräumig, es gäbe auch ein kleines Nebengebäude,
in dem wir wohnen könnten. Wir würden weder ihn noch seine Frau stören, und sie
uns auch nicht, wie er hoffe. Auch das Kind würde kein Hindernis sein, es solle
ruhig greinen und schreien, so sei es besser, als wenn das Haus verödete.
    Er erwähnte seinen Sohn nur, weil er
über den Kummer seiner Frau sprach, aber ich wußte, daß auch er ihn nicht
vergessen konnte. Und mich nahm er an seiner Stelle mit, er brachte uns
irgendwie in Verbindung, wir waren auf demselben Kampfplatz gewesen, waren
gleichaltrig, im selben Monat geboren, wir hatten Dummheiten gemacht, nur mit
unterschiedlichen Folgen, er hatte seine Trauer durch Haß zu stillen versucht,
jetzt versuchte er, sie durch Sorge um andere zu besänftigen. Ich fürchtete,
daß es ihm nicht gelingen würde, vielleicht würde ihm unser Glück sein Unglück
noch

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