Die Festung
überging?
Doch als ich zu ihm trat, lag er
genauso da und atmete ruhig.
Spät in der Nacht, als er
eingeschlafen war, ging ich auf die Straße hinaus. Sie war menschenleer, voller
Abfälle von dem närrischen Treiben, seltsam still nach dem Getöse, das die
Gebäude erschüttert hatte.
Am Kanal blieb ich stehen, über dem
stillen Wasser, allein auf der Straße, in der Stille versunken wie in diesem
stehenden Wasser, umgeben von den Schatten fremder Dunkelheit, krank vor
Trauer, deren Grund ich nicht kannte.
Ich flüchtete vor dieser seltsamen
Nacht und vor mir, der ich mir selbst fremd war.
Šehaga fand ich vor dem Bett vor,
auf den Knien, er stützte den Kopf auf und versuchte, sich mit kraftlosen Armen
hochzustemmen.
Ich hob ihn auf und legte ihn ins
Bett. Er sah aus wie ein Sterbender.
»Soll ich einen Arzt rufen?«
»Nein«,
flüsterte er.
Ich gab ihm Kamillentee, und er
beruhigte sich bald. Er schlief sogar ein.
Am Morgen erwachte er fast gesund.
Ich beschwor ihn, nicht aufzustehen und nicht zu rauchen, denn mit dem Herzen
war nicht zu spaßen.
»Meinst du, daß es das Herz ist?«
»Es sieht so aus.«
»Also gut, ich gehorche dir. Aber
ruf keinen Doktor! Er wird mir Schröpfköpfe aufsetzen, und dann verliere ich
noch mehr Blut.«
»Vielleicht würde es nicht schaden.«
»Mein Gott, wie leicht sind die
Menschen dabei, andere zur Ader zu lassen.« Er scherzte, erzählte, wie wir
dieses unnütze Herumliegen wieder wettmachen würden, er würde mir die
Schönheiten Venedigs zeigen, daß mir die Augen übergingen.
Ich gestand aufrichtig: »Am liebsten
würde ich diesen Schönheiten ganz schnell den Rücken kehren.«
»Warum? Warum in aller Welt hast du
es so eilig, wieder im Elend zu leben? Wann immer du aufbrichst, es wird zu früh
sein.«
Osman Vuk kam spät zurück, beim
Spiel war es ihm schlecht ergangen. Als die Griechen merkten, daß sich ihr
Glück wendete, hatten sie angefangen falschzuspielen; er hatte sie gewarnt,
aber ohne Erfolg, schließlich hatte er sich auf sie gestürzt; ihr Geschrei
hatte Polizisten herbeigelockt, Osman und der Herzegowiner waren ins Gefängnis
abgeführt und erst am Morgen gegen ein hohes Bußgeld entlassen worden. So war
Osman alles losgeworden, was er gewonnen und was er selbst besessen hatte.
»Mußt du denn immer für Skandale
sorgen?« Šehaga lachte.
Aber da überfiel ihn ein heftiger
Schmerz, er krümmte sich, berührte mit dem Kinn fast die Knie, dann richtete er
sich auf, schwieg einen Augenblick, bleich im Gesicht, und sagte zu Osman:
»Spiel mit mir!«
Wir waren verblüfft.
»Wie, mit dir, Aga? Woher soll ich
das Geld nehmen?«
Šehaga zog das Geld unter dem Kopfkissen hervor.
»Wenn du gewinnst, gehört alles dir.
Wenn du verlierst, brauchst du keine Strafe mehr.«
»Das ist nicht recht, Aga.«
»Ich weiß, daß du ein guter Spieler
bist. Aber hier gilt kein Betrug.«
»Gott bewahre!«
»Also, setz dich her!«
Osman schob den Tisch ans Bett und
setzte sich verwirrt.
»Deine Hände zittern«, stellte Šehaga fest. »Beruhige
dich.«
»Wie soll ich mich beruhigen? Bei
soviel Geld!«
»Wollen wir noch warten?«
»Nein.«
»Dann wirf!«
Ich schaute diesem ungewöhnlichen
Wettkampf zwischen einem erfahrenen Spieler und einem seltsamen Menschen zu.
Dem einen schien es um das ganze Leben zu gehen, der andere machte sich einen
Spaß daraus oder wollte helfen, ohne Almosen zu geben. Dem einen bebte das
Herz, der andere weidete sich an seinem Fieber. Der eine saß auf glühenden
Kohlen, wollte an das unerwartete Glück nicht glauben, der andere unterhielt
sich, und es war ihm gleichgültig, ob er gewinnen oder verlieren würde.
Osman würfelte zitternd, die Hand
schien ihm nicht zu gehorchen.
»Warum verkrampfst du dich so?«
schalt ihn Šehaga. »Es tut mir weh, dich anzusehen. Du verlierst doch nichts,
du kannst nur gewinnen!«
»Ich kann die Chance verspielen.«
»Im Leben gibt es hundert Chancen.
Man muß nicht jede am Schopf packen. Aber du wirst deine haben, irgendwann. Du
kommst mir vor wie ein Habicht, am liebsten möchtest du uns alle zerfleischen.«
»Aber nein, Aga, was redest du da!«
»Doch. Und darum mag ich dich. Und
ich möchte, daß du gewinnst. Warum solltest du irgend jemanden schonen?«
»Ich
möchte auch gewinnen.«
Aber das Glück wandte sich von Osman
ab, als er es am meisten brauchte. Er kroch in sich zusammen, schwitzte, seine
Augen wurden traurig, seine Miene verzweifelt.
Er begann
zu verlieren und verlor
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