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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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meinem
und seinem Vergnügen.
    Ich lächelte bei diesem närrischen
Gedanken wie ein geheilter Trinker beim Geruch von Alkohol, halb wehmütig,
halb spöttisch. Nach dem Krieg wäre er mir nicht erstaunlich vorgekommen. Heute
kam ich ohne ihn aus.
    Ich putzte den Staub vom Bild des
Sultans Abdul Hamid, klebte die ausgetrockneten Sterne an der Fensterscheibe
fest, glättete die geknickten Hörner des Halbmonds – und fand nichts
Lächerliches daran. Sicher wegen der Frau, die auf mich wartete, als würde ich
ihr das Glück zu Füßen legen, und sicher wegen des Kindes, dessen Wachsen ich
lauschte. die Hand auf dem gewölbten Leib, das Ohr an dem geheimnisvollen
Pulsschlag, der von einem neuen Leben kündete. Ich war nicht mehr allein. Wir
waren zu zweit, und das Dritte, noch Ungeborene, Stärkere als wir, war die
Verbindung, die mich immer enger an das niedergebrannte Elternhaus fesselte.
Ihretwegen brachte ich gelassen das Himmelsgewölbe eben den öffentlichen
Bedürfnisanstalten in Ordnung, an dem ständig etwas entzweiging. Ihretwegen
lachte ich nicht mehr darüber. Freilich erinnerte ich mich meines Gelächters
und der Bauern aus Župča, die auf die Leichen ihrer Angehörigen warteten.
Nicht zu oft, vielleicht auch immer seltener, denn die Zeit nagt hartnäckig an
den Gedanken der Menschen, bis nur ihr Gerippe übrigbleibt. Ich paßte mich an,
ohne darüber nachzudenken, und Mula Ibrahim war immer zufriedener mit der faden
Durchschnittlichkeit meiner Gedanken. Einst hatte er gesagt: Geh angeln! Er
hätte auch sagen können: Heirate! Zeuge Kinder! Auch das dämpfte die
Unzufriedenheit, denn es brachte Verpflichtungen mit sich ... Die
allerstärksten: Verpflichtungen aus Liebe.
    Mula Ibrahim kannte die Menschen. Er
hielt den Augenblick für gekommen, auf den er gewartet hatte. Er wollte mir
ehrlich helfen, er meinte, daß ich mehr verdiente, als in diesem Loch zu
hausen.
    »Halte dich bereit, wir gehen zu
einer Gesellschaft bei Hadschi Duhotina«, sagte er stolz.
    Ich wußte, was das bedeutete. Diese
Einladung kam einer Auszeichnung gleich. Mehr noch, es war eine Möglichkeit,
einflußreiche Leute zu treffen. Hadschi Duhotina hatte einst Salz gehauen, war
dann aber reich geworden und richtete jeden Monat Gastmähler für befreundete
Kriegshelden. Er selbst war nicht im Krieg gewesen, hatte nie eine Kugel
abgefeuert oder einen Säbel gegürtet, aber aus irgendeinem Grund mochte er die
Krieger und genoß es, sie in sein geräumiges Haus einzuladen und zu bewirten.
Der Kreis der Gäste war klein, es herrschte strenge Auswahl.
    Ich lehnte nicht ab, ich war von der
Gleichgültigkeit geheilt, die mir der Krieg eingetragen hatte. Ich war ein vernünftiger
Mensch geworden wie alle anderen. Mir kam sogar der Gedanke, daß ich ungeheures
Glück hatte oder daß Mula Ibrahim allmächtig war.
    Aber das Gastmahl fand ohne uns
statt. Und viele Monate gingen dahin, ohne daß eine Einladung eintraf. In jenem
Haus wurden offenbar nicht so leicht neue Gäste aufgenommen.
    »Geduld!« tröstete mich Mula
Ibrahim. »Es lohnt zu warten.«
    Ich antwortete, daß mich weder diese
paar Krieger etwas angingen noch der alte Duhotina und daß ich ganz gut ohne
sie auskommen könnte. Immer tiefer vergrub ich mich in meine Verletztheit, sie
wurde mein Schutz. Ich begann diese Leute aufrichtig zu verachten, die durch
eine unübersteigbare Mauer von jenen getrennt waren, denen bei einer solchen
Zusammenkunft kein Platz gewährt wurde. Der alte Mehmed-aga, der in der
Schlacht von Banjaluka als erster auf den Feind losgestürmt und in die Schanze
gesprungen war, ein berühmter Held und berühmter Trunkenbold, der nicht den
Posten achtete, sondern den Menschen, wurde nicht eingeladen. Der alte Dugonja
vom Begovac, von österreichischen Bajonetten zerhauen, notdürftig wieder
zusammengeflickt, wie eine Schießscheibe von Kugeln durchlöchert, der nun mit
steifen Fingern Nudelhölzer und Wasserpfeifen schnitzte, wurde nicht
eingeladen. Der tapfere Fähnrich Muharem, der letzte von hundert Fähnrichen der
Schlacht bei Banjaluka, der stumm vor den Schenken bettelte, wurde nicht eingeladen.
Keiner der alten Krieger, kein einziger, denn die neuen wollten den Ruhm nicht
mit ihnen teilen, aber auch die neuen wurden nicht gebeten, wenn sie keinen
Posten und kein Vermögen hatten. Geladen wurden aalglatte Schreiber, die selbst
ihrer eigenen Mutter zuliebe nie in den Krieg gezogen wären, vornehme Stutzer,
Päderasten, Säufer, Spaßvögel, Schmeichler –

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