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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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schiefgegangen war, und daß mir die
Arbeit mit den Kindern Freude machte, vor allem seit sie mir eröffnet hatte,
daß sie schwanger war und wir ein unbekanntes liebes Wesen erwarteten, das beschützt
und behütet zwischen uns beiden aufwachsen würde wie zwischen zwei Eichen, das niemals
in den Krieg ziehen oder die arabische Sprache bei Mahmut Neretljak lernen
mußte. Ich würde es lehren, die Dichtkunst zu verstehen und den Krieg zu
hassen.
    Sie hörte gerührt zu, mit Tränen in
den Augen, die immer schöner und tiefer wurden. Die Frauen mochten zärtliche,
wenn auch dumme Worte lieber als kluge Grobheiten.
    Mula Ibrahim erklärte ich
wahrheitsgemäß, daß ich auffrischte, was ich einst selbst gelernt hatte, es
konnte sein, daß ich es wieder brauchte.
    »Und warum läßt du dich nicht
bezahlen?«
    »Er nimmt selbst so wenig, daß es
lächerlich wäre, zu teilen.«
    »Du machst zwei Fehler«, belehrte er
mich ernst. »Du verkehrst mit einem Mann, den niemand achtet. Wie willst du
selbst geachtet werden? Und du nimmst kein Geld für deine ehrliche Arbeit. Wie
sollen die Menschen deine Kenntnisse schätzen? Sie werden glauben, daß du
nichts weißt. Aber daß du Vergessenes auffrischst, ist gut. Bis du etwas
geworden bist. Später wirst du es wieder vergessen. Manche brauchen allerdings
kein Wissen, um etwas zu werden. Du brauchst es. In dir ist keine List.«
    »Kann denn die List das Wissen
ersetzen?«
    »Ein erfahrener Mann würde umgekehrt
fragen: Kann das Wissen die List ersetzen?«
    »List ist unredlich.«
    »Nicht immer. Weil man sie braucht.
Wie einen Mantel im Winter. Manche nennen das auch Weisheit.«
    »Welchen Rat würdest du einem
Menschen geben, mit dem du es gut meinst?«
    »Sich durch seine Meinung nicht von
den Menschen zu unterscheiden, unter denen er lebt. Denn sonst wird er scheitern,
bevor er etwas tun kann.«
    »Die Bilder in unserer Auslage sind
also Anpassung.«
    »Mein zweiter Rat wäre: Sag nicht
immer, was du denkst.«
    »Hast du etwas getan, womit du in
deinem Innern nicht einverstanden bist? Es ist listig, sicher auch notwendig,
aber du schämst dich doch ein wenig?«
    »Nein, nicht im mindesten. Es gibt
Dinge, die über uns sind und die mit unserer einfachen Elle nicht gemessen
werden können. Der Sultan ist ein fast übernatürlicher Begriff, der unsere
unterschiedlichen Absichten in Einklang bringt. Er ist die Ursache, die uns
zusammenhält, wie die Schwerkraft. Ohne ihn würden wir nach allen Seiten
auseinanderfliegen, wie von einer Schleuder abgeschossen.«
    »Das wäre allerdings lustig.«
    Er sah mich verblüfft und
erschrocken an: Er hatte geglaubt, ich wäre von der Torheit geheilt, die ich
als einzige Beute aus dem Krieg mitgebracht hatte. Und ich war es auch. Ich
hatte mich von der seltsamen Willenlosigkeit und stillen Trauer befreit und
beabsichtigte, den seit langem ausgetretenen Pfad einzuschlagen, auf dem sich
die meisten Menschen bewegten. Aber auf einmal erschien mir die Möglichkeit
überaus interessant, daß die Schwerkraft verschwand und daß alles zu schweben
und auseinanderzufliegen begann, daß sich die alten Verbindungen lösten, daß
der Tyrann das Opfer bei seinem Flug ohne Wiederkehr vergaß und der Rächer eine
andere Bahn nahm, oberhalb oder unterhalb dessen, an dem er sich rächen wollte.
Es würde keine Schuldigen und Gerechten mehr geben, nur das Schweben würde
bleiben. Die Moscheen würden fliegen, die Gassen, die Friedhöfe, Bäume, Häuser
... Eines davon würde ich beziehen, allein mit meiner Frau, ich würde sie fest
umarmen, damit kein Sturm sie mir entriß, und wir wären glücklich in dem
Wissen, daß es keine arglistige Kraft mehr gab, die uns zwingen konnte, am
Boden zu kriechen. Ich würde auch einen Baum mitnehmen, einen Apfel- oder
Kirschbaum, damit er mich im ständigen Kreisen mit seiner Blütenpracht erfreute
und unserem Kind Früchte schenkte, das in diesem Kreisen zur Welt kommen würde.
Kriege wären auch nicht mehr möglich, man konnte nur im Vorüberfliegen jemanden
mit der Faust oder dem Fuß treffen, aber man hatte vielleicht mehr Lust, ihn
nach seiner Gesundheit zu fragen. Auch der Unterricht wäre anders als jetzt,
jedenfalls weniger langweilig. Man konnte einem fliegenden Schüler gerade eilig
eine Regel beibringen und würde ihn nach einem oder zwei Jahren wiedertreffen,
um ihn abzufragen, vielleicht aber auch nie, zu seinem Glück. Nur meinem
eigenen Kind würde ich alles Schöne beibringen, das ich wußte, einzig zu

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