Die Festung
Elend
meines Landes nach. Ich dachte an gute Menschen, an den guten heimatlichen
Himmel. Vielleicht weil ein unglücklicher Mensch verschwiegen hatte, daß er
ihn so liebte.
Die Fremde und ein unbegreiflicher
Tod hatten mich empfindlich gemacht. Und eine Krankheit, die ich seit der Reise
in mir trug.
Am Tag meiner Heimkehr fiel ich ins
Bett. Hohes Fieber entrückte mich Tijana, den Freunden, der ganzen Welt, mir
selbst, wie ich mich kannte. Ich dachte, ich läge in dem alten Zimmer über der
Bäckerei, ich dachte, ich läge im Backofen, ich dachte nichts, ich brannte wie
ein Holzscheit, mein Körper bog sich unter dem Ansturm von Bildern und Stimmen,
wild gewordene Pferde stürmten über mich hinweg, aus der Dunkelheit traten die
winzigen gekrümmten Gestalten meiner Kameraden aus dem Krieg, ohne Arme, ohne
Beine, ohne Kopf, sie wuchsen zu riesigen Mißgeburten an; aus endlosen, leeren
Räumen erschollen irre Schreie, alles war rot, alles glühte, alles war ein
tiefer Abgrund, alles Weite ohne Grenzen und Raine, und dann kam alles auf
normale menschliche Maße zurück, die verdreht, aber erkennbar waren wie im
Traum, ich fühlte eine kleine Hand auf meiner Stirn und wußte, daß sie Tijana
gehörte, ich vernahm ihr Flüstern und Osmans Lachen, ich sah,
wie sie die Köpfe zusammensteckten ...
»Nein!« schrie ich. »Ich werde zum
Mörder!« schrie ich, und als das schwere Fieber vorüber war, blieb nur
Mattigkeit des Körpers zurück.
»War Osman
hier?« fragte ich Tijana.
»Ja. Jeden
Tag.«
»Ich habe
ihn lachen hören.«
»Ich habe
nicht gewußt, daß er so gut ist.«
Er war also hiergewesen, es war kein
bloßer Fieberwahn. Und das andere, war das auch wahr?
Unmöglich, es konnte nur eine
Ausgeburt meiner krankhaften Phantasie sein. Dennoch wagte ich nicht danach zu
fragen.
Auch Mahmut
kam, und am dritten Tag, als ich aus der Benommenheit erwachte, vergoß er
Tränen des Glücks.
»Gott sei Dank, Gott sei Dank«, flüsterte er.
»Ist Osman
hiergewesen?« fragte ich ihn.
»Ja. Osman und Mula Ibrahim und
meine Frau, alle waren hier.«
Er
betrachtete mich vorwurfsvoll, weil ich fortgegangen, und voller Freude, weil
ich genesen war. Was hatte ich auch in der weiten Welt gewollt? Überall seien
die Menschen und die Häuser gleich. Das wichtigste sei aber doch, Freunde zu
haben. Er habe sich einsam gefühlt ohne mich, sei hinaus auf die Landstraße
gegangen, obwohl er wußte, daß wir noch nicht kommen würden, es habe ihm
Erleichterung gebracht, er habe sich eingebildet, uns näher zu sein, und als
die Krankheit mich niedergeworfen hatte, habe er ständig bei mir gesessen und
mir gegrollt. Hatte ich es unbedingt nötig, in fremden Ländern mein Mißgeschick
zu suchen? Davon gäbe es auch hier genug. Er habe überlegt, was er anfangen
würde, , wenn ich starb. Und was meine arme Frau, die sich die Augen ausgeweint
habe, so daß er und Osman sie stundenlang getröstet hätten. Für sie sei es
freilich leichter, sie sei jung und schön, sie würde schnell wieder einen Mann
finden, aber er? Einen guten Freund zu finden sei schwer.
Wen würde sie heiraten? dachte ich.
Osman? Nun gut, es tut mir leid, sie wird niemanden heiraten. Ich lebe, ich bin
hier, und ich werde hier und am Leben bleiben.
Von sich erzählte Mahmut, daß er
seinen Dienst quittieren wolle, er habe es kaum erwarten können, daß Osman heimkehrte,
um ihm den Speicher zu übergeben. Er halte es nicht aus, auf einem Fleck zu
hocken wie ein Baum, wie ein Fels. Es schade auch den Beinen, er müsse sich
mehr bewegen, und er habe auch Spaß daran, unter Menschen zu sein.
Was war das
nun wieder?
Dieser merkwürdige Phantast zog ein
unsicheres Dasein voller Träume einer sicheren Existenz voller Einsamkeit vor.
Er schwärmte von ungewöhnlichen Beschäftigungen, und dauernd fielen ihm die
gewöhnlichsten und langweiligsten zu. Es war so weit mit ihm gekommen, daß er
Katzen fütterte und Mäuse jagte, er, der in seinen Träumenüber den Wolken
geschwebt hatte, und das war schlimmer für ihn, als in Armut dahinzuvegetieren
und trügerische Hoffnungen zu nähren.
Jetzt wollte er Kanarienvögel
züchten, das sei eine angenehme Arbeit, sauber, schön, interessant,
Kanarienvögel liebten sich, sangen, vermehrten sich ... So sehr, daß er vom
Verkauf der Jungtiere gut leben könne.
Dann verstummte er und strich sich
unruhig über das magere Gesicht.
»Du hast
etwas verschwiegen«, sagte ich.
»Was habe
ich verschwiegen?«
»Das weiß
ich nicht. Darum
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