Die Festung
ich es vermag.
Vielleicht würde ich auch versuchen,
nicht zu vergessen. Ich wollte mein Leben nicht zugrunde richten, weil es wilde
Tiere gab. Sie hatten mich gedemütigt, durch fremde Hand, dafür hatten sie
Vollstrecker, ewige Diener ohne Gewissen und ohne Verstand, so wie auch sie
waren, die sich nur dadurch unterschieden, daß sie das Recht zum Urteilen und
die Macht über die Menschen hatten, wenn ich auch nie begreifen würde, warum
und woher. Alle verhöhnten sie, alle verachteten sie, aber alle hatten Angst
vor ihnen.
Auch ich verachtete und fürchtete
sie.
Sie hatten mich gedemütigt, bespien,
besudelt, aber sie würden mich nicht brechen. Sie waren aus fremdem, feindlichem
Land, und ich war selbst daran schuld, daß wir uns begegnet waren. Wir hatten
keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsamen Gedanken, kein gemeinsames Leben.
Ich, ein verrückter Spatz, war zum
Habicht auf Besuch gegangen und gerade noch mit heiler Haut davongekommen.
Das war vorüber, ein für allemal.
Der Fehler war zu groß, als daß ich ihn wiederholen würde.
Und wenn der Haß in mir blieb, dann
waren sie schuld daran.
Leere
Es war ein Frühlingstag voller Sonne, ich spürte ihn wie
eine sanfte Berührung, wie eine Wellenbewegung. Und ich wollte die Augen nicht
öffnen, nicht auftauchen aus der scheinbaren Nacht. Solange sie glaubten, daß
ich schliefe, war ich für sie nicht anwesend.
Ich hörte sie flüstern, Tijana und
Mahmut. Er hatte Kräuter zur Stärkung und Salben für die Wunde gebracht. Die
Kräuter seien gut, sagte er, er selbst habe in der Türkei Kräuter gesammelt und
davon gelebt, zwar seien ihre Kräuter nicht wie die unseren, dennoch bekomme
man Erfahrung und wisse dann sofort, was wogegen hülfe. Er vertraue den
Kräutern, er habe an sich und anderen erlebt, wie heilkräftig sie seien, und
das sei auch kein Wunder, da sei die Sonne und das Wasser und alle möglichen
Salze, und all das mische sich und ströme durch die Adern der Pflanzen, und
heraus käme so etwas Ähnliches wie Branntwein, stärker oder schwächer, aber
rein wie Tränen. Bei der Salbe sei er nicht sicher, die habe der Kräutermann
Fehim gemacht, er habe ihm nicht gesagt, für wen sie sei, man müsse nicht alles
erzählen, und er wisse auch nicht, weshalb Fehim selbst wunde Beine habe und
sich nicht gesund machen könne, während er andere heile. Tijana solle mir das
nur nicht sagen, besser, ich glaubte daran, dann würde es vielleicht wirklich
helfen. Wenn es nicht hülfe, für Beulen sei am besten Bärenfett, das man
nirgends bekäme, gut sei aber auch Hasenschmer, den würde er besorgen.
Als er gegangen war, begann Tijana
nach etwas zu suchen, öffnete die Tür, schaute unter die Truhe.
»Was suchst du?«
»Deine Schuhe. Sie standen neben der
Tür.«
»Vielleicht hast du sie weggeräumt.«
»Nein.«
Wohin sollte sie sie auch geräumt
haben, bei dieser Enge?
Das Zimmer hatte niemand betreten
außer Mahmut Neretljak. Also ...
»Ob Mahmut sie genommen hat?«
»Wie
sollte er denn?«
»Aber wo sind sie, wenn er sie nicht
hat?«
Sie stand an der Tür, verwirrt und
beschämt. Sie war immer verlegen, wenn jemand etwas Häßliches tat.
»Das macht nichts«, sagte ich, um
sie zu beruhigen. »Ich trage die Winterschuhe, bis ich mir neue kaufen kann.«
»Es ist mir nicht nur um die Schuhe zu tun.«
»Denk nicht mehr daran.«
»Wie geht es dir heute morgen?«
»Der Arm tut mir weh. Und der
Rücken.«
Sie wurde so besorgt, daß ich mich
meiner Lüge schämte. »Mach dir keine Gedanken, es ist nicht schlimm.«
Sie brühte mir Kräuter auf, rieb
mich mit dem Balsam ein, ich ließ mich von ihr umhegen wie ein Kind, es gefiel
mir, hilflos zu sein, und ihr, Hilfe zu geben, so waren wir mit etwas
beschäftigt und brauchten nicht über das Geschehene zu sprechen. Aber die ganze
Zeit wartete ich darauf, daß sie fragte. Ich hätte mich in Schweigen gehüllt
oder vielleicht gejammert: Ob sie nicht warten könne, bis es mir ein wenig
besser ging? Zum Glück fragte sie nicht, und trotzdem fühlte ich mich benachteiligt.
Als wäre das eine Möglichkeit gewesen, daß meine Anspannung nachließ.
Ich schickte sie zu Mula Ibrahim,
sie sollte ihn um etwas. Geld bitten und sagen, was mit mir war, daß ich in der
Nacht überfallen worden sei und ein paar Tage zu Hause bleiben müsse. Ich bat
sie auch, etwas einzukaufen, womit wir ihn bewirten konnten, wenn er zu Besuch
kam.
Als sie gegangen war, fühlte ich
mich erleichtert. Ihretwegen also war ich
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