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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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hätten, um vor dem schlimmsten Gesindel
dieser Welt einen Zirkus aufzuführen, an den sich der Narr sein Leben lang
erinnern würde. Nicht weil er Dummheiten gesagt hätte, das störe die anderen
nicht, sondern weil er gesagt hätte, was er dachte. Deshalb sei er auch ein
Narr. Sie hätten sich grausam gerächt. Sie hätten mich verprügelt. Mit Kot
besudelt. Ihr Wasser über mir abgeschlagen. Und nicht einmal das hätten sie
selbst getan, sondern andere vorgeschickt.
    »Meinen Vater haben sie umgebracht.«
    »Deinen Vater haben sie umgebracht,
mich haben sie gedemütigt. Sollen sie, ich bin ihnen dankbar. Ich werde es mir
merken. Diese teure Lektion werde ich nicht vergessen. Aber andere werden auch
daran denken. Wenn sie glauben, daß Ahmet Šabo ein junger Hund ist, den sie mit
Füßen treten können, dann haben sie sich geirrt. So dumm bin ich nur einmal
gewesen. Es genügt mir fürs ganze Leben. Einmal wird mir jemand dafür
bezahlen.«
    Erregt und verbittert versuchte ich
vor ihr und mir meinen Stolz zu retten. Es mochte lächerlich klingen (was
konnte ich gegen sie ausrichten?), aber es war keine Lüge. Es war Verletztheit.
    Sie fand es nicht lächerlich. Sie
hörte mit größerer Aufmerksamkeit zu, als es meine nebelhaften Drohungen verdienten,
die niemanden gefährdeten. Und plötzlich wurde sie heiter, aufgeschlossen,
sogar stolz auf das, was ich redete. Denn sie zog meine – wenn auch
aussichtslose, wenn auch gespielte – Rebellion dem Gefühl der Erniedrigung und
Hilflosigkeit vor. Trotz allem bewahrte sie mich so, wie ich in ihren Träumen
gewesen war. Wie eine Zauberin setzte sie mich aus Scherben wieder zusammen und
bemerkte vielleicht nicht einmal die Risse.
    Mit weichen Fingerspitzen strich sie
über meine Hand, gerührt, voller Vertrauen.
    »Ich freue mich, daß du mir all das
gesagt hast. Ich habe gesehen, wie du dich quälst, aber ich habe geglaubt, es
wäre viel schlimmer. Du brauchst nichts zu bedauern und dir keine Vorwürfe zu
machen. Du hast gesagt, was du denkst, na und? Du hast nicht gestohlen,
niemandem ein Leid getan, dich nicht geduckt, du hast ehrlich das gesagt, was
alle anständigen Menschen denken. Sie haben dich verprügelt, du wirst es
überstehen. Sie werden dich hassen, also werden auch wir sie hassen. Wir
brauchen nichts von ihnen. Wir werden in Armut leben wie bisher, aber aufrecht.
Du bist besser und mutiger als sie alle, sie können dir nicht das Wasser
reichen. Nur in ihrer Niedertracht sind sie stärker. Aber so lieb mir dein Mut
ist, er macht mir Angst. Du bist ein glimmendes Feuer, man sieht es kaum, aber
wenn es aufflammt, ist es schwer zu löschen. Versprich mir, auf dich
aufzupassen. Meinetwegen.«
    »Es ist nicht Mut, sondern
Erbitterung.«
    »Gleichgültig. Versprich es mir.«
    Ich weiß nicht, woher sie all diese
guten Eigenschaften bei mir nahm, von denen ich nie geträumt hatte, die ich
auch gar nicht haben wollte. Aber warum sollte ich ihr naives Bild zerstören?
Warum sollte ich nicht so sein, wie sie mich sah? Ich würde ihr Stolz und ihr
Schutz sein, so bedeutungslos ich war, ich würde ihren Glauben an mich
aufrechterhalten, denn sie brauchte ihn. Ich würde wie eine scheinbar starke
Eiche ihren zarten Sproß beschirmen.
    Offenbar träumen wir das Leben
wirklich.
    Aber wunderbarerweise begann ich
selbst an ihre Worte zu glauben. Ich wußte nicht, wie ich vorher gewesen war,
seit dem vergangenen Abend war ich gereift wie in vielen Jahren. Ich hatte eine
wertvolle Erfahrung gemacht und würde nicht wieder in die Falle gehen. Und die
anderen sollten sich vor mir hüten.
    Ohne ihr zu sagen, wie heilsam ihre
Worte waren und wie sehr mich ihr grundloses Vertrauen ermutigte, umarmte ich
sie zärtlich, wie früher, vor dem Ereignis vom Vortag, ohne Bange und Scheu,
rein gewaschen, befreit, voll heiteren Mutes.
    Die Tage vergingen, aber ich ging
nicht aus, ich stand nicht einmal häufig auf. Ich fühlte mich schlecht.
    Schon zwei Tage lang war Mahmut
nicht gekommen. Auch Mula Ibrahim nicht.
    Als ich Mahmut im Hof husten hörte,
bat ich Tijana, etwas auf die Truhe neben der Tür zu legen, was sie nicht
brauchte.
    »Ich brauche alles.«
    »Eine Tasse.«
    »Wir besitzen nur zwei.«
    »Dann trinken wir aus einer.«
    Sie stellte eine angeschlagene hin,
für alle Fälle.
    Mahmut trat lächelnd ein wie immer,
aber seine Fröhlichkeit war nicht überzeugend, er
spielte sie uns vor. Er war mager, hustete, seine Hände zitterten.
    »Du liegst noch im Bett?« fragte

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