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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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beunruhigt. Ich konnte nicht lügen
und das Opfer einer Überzeugung spielen. Wenn sie überhaupt existierte, dann
war es Blütenstaub, der über der Wüste schwebte, vom Wind hergewehter Samen,
ein verborgenes und formloses, in Nebel gehülltes Gewächs. Andererseits schämte
ich mich zu gestehen, daß ich der letzte Dummkopf auf der Welt war, den man auf
der Straße wie einen verachteten Hühnerdieb verprügeln konnte. Ohne Grund.
Ohne Angst vor Verantwortung, ohne Angst vor der Frage: Was habt ihr mit dem
Mann gemacht? Ich konnte nicht einmal Klage erheben. Gegen wen? Gegen die
Dunkelheit, die Hexen? Und warum? Die Leute würden glauben, daß ich betrunken war, genau wie Mahmut, als
er mich fand. Es kümmerte sie nicht, daß ich mich von ihnen abwenden konnte,
sie würden nur lachen. Ich konnte denken, was ich wollte, tun konnte ich
nichts. In der heutigen Welt gab es nur zwei Möglichkeiten: sich anzupassen
oder sich selbst zu opfern. Kämpfen konnte man nicht, und wenn man auch wollte,
man wurde beim ersten Schritt, beim ersten Wort unschädlich gemacht, auch das
war Selbstmord, ohne Wirkung, ohne Sinn, ohne Namen und Erinnerung. Man konnte
nicht aussprechen, was man auf dem Herzen hatte, selbst wenn man bereit war,
dafür zu leiden. Man wurde verprügelt, damit man nicht redete, damit man nur
Schande oder Schweigen zurücklief?.
    O jämmerliche Zeit, die weder
Gedanken noch Heldentum zuließ.
    So spülte ich hilflos mit großen
Worten die Scham von mir ab.
    Ich stand auf und wanderte mit
steifen, von der Sonne beschienenen Beinen durchs Zimmer. Zerstreut zählte ich
die blauen Flecke auf meinem Körper.
    Ein Märtyrer, ein Narr. Ich wollte
keines von beiden sein. Sie hielten mich für eine gewöhnliche Laus.
    Vielleicht war ich das auch. Ich
konnte nichts anderes denken und fühlen, als mich meiner selbst zu schämen. Und
die Demütigung lastete auf mir. Ich kannte meine Schuld nicht, ich kannte die
Täter nicht. Ich dachte nicht an Rache, in mir war kein heilsamer Haß, nur
Feindseligkeit floß träge durch meine Adern wie Senf.
    Tijana fand mich im Bett vor, sie
brachte Geld, hatte Orangen gekauft, für Mula Ibrahim, wenn er kam, er ließ
mich grüßen und mir alles Gute wünschen.
    »Ist er nicht böse, weil ich ein
paar Tage zu Hause bleibe?«
    »Vor allem
mußt du gesund werden, sagt er.«
    »Ich habe
dir doch gesagt, daß er ein guter Mensch ist.«
    »Auch du bist gut zu ihm
gewesen.«
    »Das ist etwas anderes. Im Krieg
oder bei einem großen Unheil tut man Gutes und Böses gleichermaßen, eins nach
dem anderen. Weil man unsicher ist. Aber im Frieden wird man böse, man denkt
nur an sich. Er ist offenbar anders.«
    Sie sah mich aufmerksam mit ihren
großen, klugen, ängstlichen und eindringlichen Augen an, dann wandte sie sich
ab und fing irgendeine Arbeit an.
    Warum schaute sie so? Weil sie
glaubte, daß ich Unsinn redete? Oder über etwas, was für sie ganz
selbstverständlich war? Oder weil ich nicht über das sprach, was geschehen war?
Oder weil ich überhaupt sprach, nach allem, was geschehen war?
    Ich war empfindlich geworden. Einen
Tag zuvor hätte mir nicht einmal ihr erstaunter Blick etwas ausgemacht.
    Ich fragte,
obwohl ich wußte, daß es besser gewesen wäre, zu schweigen, zu lächeln, einen
Scherz zu machen, aber die Spannung war stärker als die Vernunft: »Was habe ich
denn so Ungewöhnliches gesagt? Du wolltest etwas antworten, hast dich aber
zurückgehalten.«
    »Wieso zurückgehalten? Du weißt, daß
ich dir alles sage, was ich denke.«
    »Habe ich etwas Dummes gesagt? Oder
Ungehöriges? Hattest du eine Frage, einen Einwand?«
    »Keins von
beiden.«
    »Vielleicht bist du böse, weil ich
dir nicht alles erzählt habe? In Ordnung, ich will es nachholen. Gestern, auf
der Gesellschaft, habe ich Dummheiten vor Dummköpfen geredet.«
    »Ich weiß
alles, hör bitte auf.«
    »Du kannst nicht alles wissen. Auch
Mula Ibrahim weiß nicht alles. Und warum soll ich aufhören?«
    »Weil es dich quält. Wir sprechen
später darüber.«
    »Wieso quält es mich? Ich sage, was
gesagt werden muß, und zwar jetzt, damit wir über den Vorfall nicht schweigen.
Ich habe nicht gewußt, daß wir unter Bestien leben.«
    Später merkte ich, daß ich mehr
tobte und fluchte als erzählte und daß ich immer heftiger die anderen
beschimpfte, statt mich selbst. Ich verteidigte mich vor ihr, indem ich die
anderen angriff. Ich sagte, daß sich am Vorabend ein halbblinder Schurke und
ein betrunkener Narr zusammengetan

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