Die Festung
bereithielt, was schon vorüber zu sein
schien? Der Zauber der Liebe brachte das Verlorene zurück. Und sie träumte von
ihrem schönen Freund, der sie so sehr liebte, daß er bereit war, ihretwegen zu
töten. Für so eine Liebe und für das Glück lohnt es, alles zu tun, flüsterte
vielleicht diese halbwahnsinnige Frau, die sich krampfhaft an das welkende
Leben klammerte.
Am nächsten Tag sagte sie ihrer
Dienerin, die morgens kam und abends ging, denn die Hanuma litt nicht, daß ein
Fremder im Haus schlief, daß Muharem-aga auf sein Gut nach Brezik gegangen
sei. Dasselbe sagte sie auch den Gehilfen, als sie die Schlüssel holten,wobei
sie sie ermahnte, ihr gegen Abend alles eingenommene Geld abzuliefern. Sie
bewies, wie entschieden und tüchtig sie war und daß sie an alles dachte.
Tags darauf schaute in Gorica ein Bauer
namens Misirlija auf der Suche nach Wasser – denn alle Quellen in der Umgebung
waren versiegt – in Muharem-agas Brunnen. Zuerst roch und dann erblickte er die
Leiche. Kopflos rannte er zum Gericht und erzählte, daß er gefunden, was er
nicht gesucht hätte, denn lieber hätte er Wasser gefunden als den toten
Muharem-aga, der ihm, da er ein guter Mensch war, ebenso leid tat wie sein
Vieh, das zu verdursten drohte.
Der ganze Hof wußte sofort, wer die
Mörder waren, und auch die Obrigkeit wußte es. Die Paros und Rabija-Hanuma
wurden festgenommen und legten augenblicklich ein Geständnis ab.
Vater und Sohn erklärten, sie hätten
nichts gegen Muharem-aga gehabt, aber anders wäre nicht an sein Geld heranzukommen
gewesen, und was den Mord angehe, das sei eben wie im Krieg, man greife an, und
dabei falle man oder man bleibe am Leben. Sie und Muharem-aga hätten eben kein
Glück, seit ihrer Heimkehr aus dem Krieg klebe das Pech an ihnen.
Rabija-Hanuma sprach ruhig über
alles. Schuld sei das Schicksal und die Liebe, sagte sie, wobei sie den jungen
Paro ansah. Vielleicht suchte sie wirklich keine Schuld bei sich, wie so viele
Menschen.
Sie wurde nackt mit nassen Stricken
ausgepeitscht und halbtot aufgehängt (ich schreckte schweißgebadet aus dem
Schlaf, wenn ich Nacht für Nacht von ihrem Greisenkörper und der lederartigen,
welken, von blutigen Striemen bedeckten Haut träumte).
Vater und Sohn wurden erdrosselt,
und so endete ihr letzter Sturmangriff.
Seltsam, daß die Mörder nicht zu
fliehen versuchten, sie hätten diese Möglichkeit gehabt, als in dem allgemeinen
Chaos der Serdar Avdaga und seine beiden Gehilfen ganz zufällig und ganz
unerwartet in ihrem Zimmer einen fremden bewaffneten Mann antrafen. Während der
Mann kopflos über die Treppe entfloh, warteten die beiden ruhig, bis alles
vorüber war, und begaben sich dann zur Festung. Von dem Fremden sagten sie, sie
kannten ihn aus Belgrad, er sei in der vergangenen Nacht zu ihnen gekommen, um
sich für einige Zeit zu verstecken, sie hätten ihm von ihrer Tat nichts erzählt,
um sich nicht in seine Hände zu geben.
Das geschah am Mittag.
Der tote Sohn
Es geschah am Mittag.
Ich ging nach Hause, zum Essen, das
ich nicht verdient hatte, erschöpft wie jeden Tag von der nutzlosen Beharrlichkeit,
mit der ich einen Ausweg aus der Ummauerung suchte. Ich hatte mich daran
gewöhnt, zu suchen und nicht zu finden, das eine hing von mir ab, das andere
von wer weiß wem, und ich konnte weder mir selbst Vorwürfe machen noch böse
sein, weil mich niemand empfing. Früher hatte ich im Zorn mit Haß gedroht, den
ich nicht empfand. Auch jetzt empfand ich keinen, Gott sei Dank.
Wäre ich von anderem Naturell
gewesen, hätte ich das Leben wie eine Bürde getragen, und wäre ich verbittert
gewesen, hätte ich begonnen, mich selbst aufzugeben, zu trinken, zu hassen, zu
nörgeln, mich gegen die ganze Welt zu stellen.
Aber das konnte ich nicht. Trotz
allem lebte ich wie andere Menschen, die ohne Makel waren, froh und traurig
wegen alltäglicher Dinge, froh über gute Menschen, die auch ein wenig böse
waren, traurig über schlechte Menschen, die selten gut waren, glücklich mit der
Frau, die mir das Leben erleichterte, und glücklich über das Kind, das sie
erwartete. Mit dem Kind würden wir es zwar noch schwerer haben, aber irgendwie
würde es weitergehen.
Das war eines der Geheimnisse dieser
Welt: So viele Menschen lebten kärglich, man wußte nicht wie und wovon, aber
niemand verhungerte. Natürlich war es nicht recht, diesen kleinen Menschen mit
dem Trost zu erwarten, daß er nicht Hungers sterben würde, doch nicht jeder
mußte unter einem
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