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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Zeit
sagen, aber ich habe es hinuntergeschluckt, es war mir so peinlich. Aber ich
mußte hingehen, er fragt nicht, ob mir das gefällt, er befiehlt einfach: Mach
dich auf den Weg. Du eignest dich für diese Sache, dir wird keiner mißtrauen.«
    »Da hat er recht, ich war auch nicht
mißtrauisch.«
    »Und wieso will er mich jetzt als
Toskas Spion anklagen?«
    »Hast du Angst vor dem Serdar
Avdaga?«
    »Natürlich.«
    »Hat er dich geschlagen, damals?«
    »Avdaga schlägt niemanden.«
    »Sondern? Was tut er?«
    »Er tötet.«
    Jetzt verschlug es mir den Atem. Ich
riß den Mund auf wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    Mahmut wusch sich am Brunnen, kühlte
sich die Arme, trank Wasser, rang nach Luft. Wahrhaftig, auch ich hätte am
liebsten den Kopf unter den Wasserstrahl gehalten, um zu mir zu kommen.
    Das war Avdagas Geheimnis, über das
die Menschen achselzuckend schwiegen. Und ich hatte ihm meine dummen Verse
hergesagt, gerührt von seinem schönen Geist und Edelmut, und behauptet, alle
Menschen seien gleich und unvollkommen und es gäbe keinen Unterschied zwischen
ihm und den anderen.
    Als was hatte mein Gedicht herhalten
müssen? Als Schutzschild für einen Henker. Er hatte es für seine blutbefleckte
Seele getan, und dabei war ihm als Zeuge und Bürge selbst so ein Narr wie Ahmet
Šabo recht gewesen!
    Aber vielleicht war es auch etwas
anderes, vielleicht bestätigte mein Gedicht seine Überzeugung, daß die
Menschen nur im Grab vollkommen seien. Daß sie Verbrecher seien, solange sie
lebten.
    Ach, dieses unglückselige Gedicht!
    Scham und Reue halfen mir, Mahmut
Neretljak nicht allzu böse zu sein. Er hatte unter Zwang etwas Häßliches getan,
ich aus freien Stücken.
    Seit der Begegnung mit dem Serdar
Avdaga begann ich über das nachzudenken, was noch niemand bis zu Ende gedacht
hat, was aber auch niemandem, sobald er erwachsen ist, aus dem Sinn geht: Wie
ist das mit uns und dem Leben, in welches Garn gehen wir, wohin geraten wir
freiwillig oder unfreiwillig, was hängt von uns ab, was können wir mit uns
anfangen? Ich war im Denken nicht geübt, ich lebte lieber, als daß ich darüber
nachdachte, aber wie ich es auch drehte und wendete, es sah so aus, als
geschähen die meisten Dinge über unsere Köpfe hinweg, ohne unser Zutun. Der
Zufall entschied über meinen Lebensweg und mein Schicksal, und meistens wurde
ich vor vollendete Tatsachen gestellt, geriet ich in eine der möglichen
Strömungen, in eine andere konnte mich nur ein neuer Zufall werfen. Ich glaubte
nicht, daß mir mein Weg vorgezeichnet war, denn ich glaubte nicht an eine
besondere Ordnung dieser Welt. Wir entschieden nicht, wir hatten uns abzufinden.
Wir wurden in ein Spiel voller ungezählter Wendungen gestürzt, und das in
einem bestimmten Augenblick, da nur diese Gelegenheit auf uns wartete, die
einzige, die für uns im Verlauf der Ereignisse gegeben war. Man konnte sie
weder umgehen noch abwehren. Sie gehörte einem wie das Wasser, in das man fiel.
Man mußte schwimmen oder untergehen.
    Diese Überlegungen gefielen mir
nicht, aber ich konnte keine andere Antwort finden. Wo war unser Platz in
diesem Chaos? Einer mußte der meinige sein.
    Den Serdar Avdaga hatte ich nicht
gesucht, nicht einmal gekannt. In einem einzigen Augenblick hatte er meinen Weg
gekreuzt und sich mit meinem Leben verbunden. Ich konnte ihn nicht abwehren,
doch hatte auch niemand verlangt, daß ich meine Zustimmung gab. Es war geschehen
wie alles andere.
    Nur, wie sollten wir uns mit solcher
Ungerechtigkeit abfinden?
    Mir gefiel die Traufe nicht, in die
ich geraten war, und ich versuchte meine Lebensbahn zu ändern. Jeden Morgen verließ
ich das Haus in der Hoffnung, daß mir einmal die Sterne günstig waren und ich
jemandem begegnete, der mir helfen konnte. Das Schicksal konnte doch nicht nur
den Serdar Avdaga dazu auserwählt haben, mir über den Weg zu laufen, ohne jeden
Nutzen für mich selbst.
    Aber ich hoffte vergebens, die
unerklärliche Strafe dauerte an, noch immer war ich Luft ohne Stimme und
Gestalt. Von mir nahmen nur Menschen Notiz, die der Hilfe ebenso bedurften wie
ich, wenn nicht mehr. Und der Serdar Avdaga bemerkte mich, aber für ihn wäre
ich gern unsichtbar und unhörbar gewesen.
    Mittags pflegte ich heimzukehren wie
jeder arbeitende Mensch, ich fand ein fertiges Essen und meine Frau vor, die
fröhlich lachte, als hätte sie keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Ich, der
ich jung und gesund war, ließ mich von dem kranken Mahmut Neretljak und meiner
schwangeren

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