Die Festung
warum meine Frau nicht mehr zu
Rabija-Hanuma ginge. Und ob es wahr sei, was über seine Schwägerin und den
jungen Paro geredet würde.
»Man soll nicht behaupten, was man
nicht weiß«, sagte ich. Wie könne ich das wissen, wie könne irgend jemand das
wissen? Es sei so unwahrscheinlich, daß man an einen Traum glauben könnte,
selbst wenn man Zeuge einer Sache gewesen sei, bei der man im allgemeinen nicht
zuschaue.
»Vieles sieht unwahrscheinlich aus,
und es geschieht doch.«
»Ich weiß wirklich nichts.«
»Ich fürchte, daß sie etwas Böses
anrichten. Wenn ihr sagen würdet, daß sie gefährlich sind, daß sie euch angegriffen,
beleidigt, bedroht haben, könnten wir sie einsperren oder aus der Stadt
jagen.«
»Wer soll so etwas sagen?«
»Du und Mahmut.«
»Sie haben mich niemals schief
angesehen oder mir ein häßliches Wort gesagt. Wie kann ich unschuldige Menschen
verleumden?«
»Um Böses zu verhindern. Ihnen ist
es gleichgültig, wo sie leben.«
»Warum sprichst du nicht mit deinem
Bruder?«
»Das werde ich tun.«
Erfährt es denn der Mann immer als
letzter?
Aber Avdaga kam nicht dazu, mit
seinem Bruder zu sprechen. Vielleicht war es ihm unangenehm, vielleicht tat es
ihm leid, vielleicht hoffte er, daß die Affäre irgendwie zu einem Ende
gelangte, vielleicht verspätete er sich nur um einen einzigen Tag.
Die lächerliche Schwärmerei seiner
Schwägerin zog ein ganzes Knäuel von Mißgeschicken nach sich, und unser
ärmlicher Hof verstummte voller Angst vor einem Verbrechen. Wir verhielten uns
still in den dunklen Stuben, schauten furchtsam die schwarzen Fenster an und
dachten an die unruhigen Schatten, die nachts vorüberhuschten.
In einer Nacht von Donnerstag auf
Freitag (wenn wir später darüber sprachen, fügten wir das immer hinzu: In jener
Nacht von Donnerstag auf Freitag, vielleicht weil diese Nacht dem Gebet und
stillem Nachdenken vorbehalten sein soll) kümmerte sich Rabija-Hanuma um ihren
Mann.
Sie ließ ihren Liebhaber und dessen
Vater, Ibrahim Paro, ins Haus und führte sie in das Zimmer, wo der alte Muharem-aga
friedlich schlief; Vater und Sohn erstachen ihn einträchtig, wobei sie ihm die
Gnade erwiesen, im Schlaf zu sterben, ohne daß er für einen Augenblick das
Bewußtsein erlangte, ohne daß er im letzten Augenblick ihrer oder seiner Frau
ansichtig wurde. Angst, Bedauern und Schmerz blieben ihm erspart. Vielleicht
war es so. Es blieb im dunkel, ob sie das ihm zuliebe taten, damit es ihm
leichter wurde, oder sich selbst zuliebe, damit er nicht zu schreien begann,
oder der Frau zuliebe, damit Muharem-aga nicht im Groll auf sie starb, wenn es
schon kein Verzeihen mehr gab. Vierzig Jahre hatten sie gut miteinander gelebt,
warum das am Ende verderben? Sie wickelten ihn in das Laken und dann in die
Bettdecke, so daß er einem Ballen glich, luden ihn aufs Pferd, und auf seinem
Gut in Gorica warfen sie die Leiche in den Brunnenschacht. Nachdem sie alles
erledigt hatten, brachten sie das Pferd in den Stall und zogen sich in ihre
Wohnung zurück, denn der schwere Muharem-aga war eine ermüdende Last gewesen.
Rabija-Hanuma schlief nicht sofort
ein. Da sie eine saubere und ordentliche Frau war, räumte sie zuerst
Muharem-agas Zimmer auf, legte neue Kissen aufs Bett, verbrannte die blutigen
Bezüge im Küchenofen, badete, sprach ein paar Gebete für die Seele ihres toten
Mannes und setzte sich ans Fenster, um den Morgen zu erwarten. Sie war eine
empfindsame Natur und konnte keinen Schlaf finden. Sie grübelte und grübelte.
Einen Monat würde sie verstreichen lassen, höchstens zwei, bis Muharem-aga in
Vergessenheit geraten war, und dann, dann, wer weiß, was für schöne Träume
diese tapfere Frau hatte, der es nicht schwergefallen war, um ihrer Liebe willen
das Leben des eigenen Mannes zu opfern.
Mich ging es zwar nichts an, aber
ich hätte gern gewußt, was sie dachte, während sie auf das Ende dieser
bedeutungsvollen Nacht wartete. Dachte sie an ihr langes Leben mit
Muharem-aga, rief sie sich alle häßlichen Augenblicke ins Gedächtnis, hatte sie
ihn seit jeher gehaßt, bereute sie, fürchtete sie, daß alles ans Tageslicht
kommen könnte, dachte sie, daß dies ihr eigener Mann war und daß sie mit ihm
tun konnte, wozu sie Lust hatte, oder war sie froh, daß ihr eine Last von den
Schultern genommen war, daß sie sich aus dem Gefängnis befreit hatte, daß sie
das Hindernis auf dem Weg in ein neues Leben beseitigt hatte? Dachte sie an
dieses neue Leben, das alles für sie
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