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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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und da hat
er gesagt, du solltest ihn besuchen. Geh auf alle Fälle hin.«
    »Vielleicht.«
    »Nicht vielleicht, sondern
bestimmt.«
    »Gut, ich gehe bestimmt hin.«
    »Hast du Geld?«
    »Ja, danke.«
    »Das war es. Sag niemandem, daß ich
hier war.«
    Er schaute um den Torpfosten, ob ihn
jemand bemerkt hatte, und verschwand in der Dunkelheit.
    Ich sah, wie sein Schatten mit der
Finsternis verschmolz, und wäre ihm am liebsten nachgelaufen, um zu fragen,
warum er im Schutz der Nacht und halbtot vor Angst hierhergekommen war. Seine
Furcht vor jedem, vor nichts war lächerlich, aber der Umstand, daß sie uns
lächerlich erschien, machte sie für ihn nicht geringer. Er hatte großen Mut gebraucht,
um sich in die Nähe meines Hauses zu begeben und mit mir, dem Verstoßenen und
Verachteten, zu reden, wenn auch nur so kurz, als hätte er mir im Vorübergehen
zugewinkt.
    Warum kümmerte er sich um mich?
Wegen der Erinnerungen an den Dnjestr, als ich ihn dem Tod entriß, ohne an den
eigenen zu denken? Ich hatte ihm erklärt, daß es nicht aus Güte, nicht aus
Mitleid, nicht aus bewußtem Entschluß geschehen war. Es war eine unüberlegte
Handlung gewesen, so als hätte ich den Verstand
verloren und nicht gewußt, was ich tat. Genauso hätte ich ihn ohne Grund und
ohne Erbarmen der Strömung überlassen können. Deshalb schuldete er mir nichts,
ich hatte es ihm längst gesagt. Aber nicht der Grund blieb im Gedächtnis,
sondern die Tat. Er erinnerte sich meiner Tat und seiner schrecklichen Stunde,
da er sich vor Angst besudelt hatte, kopflos im Angesicht des Todes, dessen
eisigen Atem er bereits spürte. Aber irgendein Irrer hatte das Boot mit ihm,
dem Fremden, durch die tobenden Wellen gezogen (dabei dachte ich, daß ich mich
nur daran festhielt, um nicht unterzugehen). Sicher hatte er damals aufrichtig
wie nie um das Leben eines anderen Menschen gebetet, wenigstens bis er das
Ufer erreichte, und um den Sieg beider über den Tod. Und niemals hatte er jemandem
soviel Glück gewünscht wie diesem anderen Menschen, denn von ihm hing für ihn alles
ab. Er hatte alles im Gedächtnis behalten, den tosenden Fluß, die furchtbare
Todesstunde und diesen verrückten jungen Mann, und auch später, ernüchtert,
hatte er nicht vergessen können, daß er nur ihm und einem Wunder sein Leben
verdankte. Das erste Leben hatte ihm sein Vater in Sarajevo gegeben, das zweite
ich am Dnjestr. Jenes hatte er sich nicht gewünscht, für meines würde er auch
seine Seele hergeben. Er mußte sich an den Urheber seines Lebens erinnern,
besonders an den wichtigeren. Zwar hätte er ihn auch vergessen können, viele
vergaßen, aber es war sein Pech, daß er ein guter Mensch war und Gutes mit
Gutem vergelten wollte. Doch die Menschen hatten ihn gezwungen, das Gute mit
Undankbarkeit zu vergelten. Und vielleicht lag ihm das schwerer auf der Seele
als mir. Ganz sicher. Er konnte nicht vergessen, er war heute abend gekommen,
obwohl er sich fürchtete. Er hatte nicht gewagt, die Botschaft einem anderen
anzuvertrauen. Er war selbst gekommen. Für ihn kam das einem Sturmangriff auf
eine befestigte Schanze gleich.
    Früher hatte ich mir gewünscht, daß
er mitten in der Nacht vor Scham und Reue über seine Undankbarkeit erwachte,
aber sieh da, vielleicht war seine Seele größer, als ich gedacht hatte, und
kämpfte sogar gegen die Angst an, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war.
    Gott verzeihe dir, hatte ich damals
gedacht, als er seine Hand von mir abzog und nicht den Mut fand, mich zu
retten, um der anderen willen. Gott verzeihe dir, sagte ich auch jetzt, nur
sanfter und wärmer als einst. Er hatte seine quälende Angst nicht zu Hause
lassen können, er hatte sie auf dem ganzen Weg mit sich herumgetragen, wie ein
brennendes Hemd, wie eine Schlange um den Hals, wie Fieber im Körper, und
sicher war diese Angst immer schlimmer statt erträglicher geworden, je mehr er
sieh dem verbotenen Ort näherte. Und er war gekommen, vom Feuer versengt, von
Bissen zerfleischt, innerlich verwundet, um mir wie ein Krieger die Kunde von
der Hilfe zu bringen.
    Gott verzeihe dir, rechtschaffener
Mensch, dem man nicht erlaubt, das zu sein: du hast deine Pflicht getan,
halbtot vor Angst. Ich beginne diese Art von Mut zu schätzen. Er ist vielleicht
größer, als wenn die Angst nicht vorhanden ist.
    Ich würde Tijana die lächerliche
Geschichte von dem Helden erzählen, der aus Angst dazu geworden war, und von
der Rechtschaffenheit, die aus Scham geboren war. Jetzt, auf dem

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