Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
Vom Netzwerk:
Heimweg,
nachdem er getan hatte, was nicht vernünftig, aber redlich war (wie Mahmut
gesagt hätte), war seine Angst noch größer, aber auch seine Selbstzufriedenheit.
Vielleicht auch nicht, vielleicht bereute er schon seinen unüberlegten Schritt,
doch das würde ich nicht erfahren und mich nur seiner Heldentat erinnern.
    Als ich das Zimmer betrat, blieb ich
überrascht an der Tür stehen. Tijana war nicht allein: Auf der Truhe saß ruhig
der Serdar Avdaga.
    Beim Anblick eines Wolfs wäre mir
leichter gewesen.
    Hatte Mula Ibrahim gewußt, daß Avdaga im Haus war? Dann war
sein Mut noch größer gewesen.
    Ich sah Tijana wortlos an: Was will
der? Sie antwortete mit gespieltem Lächeln: Woher soll ich das wissen?
    Ich begrüßte Avdaga in der Hoffnung
auf eine Erklärung, warum er mich mit seinem Besuch beehrte. Aber er beeilte
sich nicht, etwas zu sagen, als wäre es ganz natürlich, daß er jemandem
ungebeten und unerwartet ins Haus fiel.
    Aber es war nicht einmal für ihn
natürlich, er erschien mir verwirrt, deshalb schwieg er und hüstelte
vieldeutig. Er sagte nur, er habe gehofft ... äh ... mich zu Hause anzutreffen,
es sei schon lange dunkel ... äh ..., so daß ich mehr Tijanas als seinetwegen erklären mußte, daß
Mahmut seinen geschäftlichen Erfolg feierte und es mir leid getan hatte, ihn
allein zu lassen.
    »Ein erbärmlicher Tropf«, sagte
Avdaga kurz.
    »Nicht schlimmer als andere«,
antwortete ich.
    Ärgerlich über seine Bemerkung und
meine Antwort, sagte Tijana, daß Mahmut ein guter Mensch sei, nur unglücklich.
Damit rechtfertigte sie jeden.
    Für Avdaga war es der schlimmste
Schimpf. Er dachte sicher: Wenn er nur einen Deut taugte, würde er irgendwann
Erfolg haben und kein Lump bleiben. Gut kann er nicht sein, da er ein Gauner
ist. Und unglücklich ist er, weil man ihn erwischt hat. Alle Menschen sind
mögliche Missetäter, und die, die als Schuldige verurteilt wurden, können nie
wieder anständig werden. Er sagte nichts, ließ nur seinen öligen Blick von mir
zu Tijana wandern, als verstünde er nicht, was wir meinten. Noch ärger: Er
wußte nicht, wo er uns unterbringen sollte, wir waren weder Verbrecher noch
ordentliche Menschen. Was waren wir dann?
    »Ihr seid seltsame Menschen«, sagte
er nachdenklich und duckte sich auf der Truhe, als bedrücke ihn etwas.
    Ich wußte, daß er jetzt überlegte,
wie er uns einordnen sollte, und hielt es für geraten, unsere Lage nicht zu verschlechtern
und nichts zu tun, was ihn verstimmen konnte. Besser, wir waren seltsam und
unklar als verdächtig.
    Im eigenen Lager verachtete man ihn,
aber man ließ zu, daß er Angst unter den Menschen säte, und er tat das ganz
ehrlich, wobei er seinem strengen Gewissen ebenso gehorchte wie seinen Herren.
Lieber bestrafte er hundert Unschuldige, als daß er einen Schuldigen
laufenließ, aber die Schuld eines jeden maß er nach der eigenen Elle. Deshalb
ließ ich seinen trägen Verstand ruhig und ungestört schlafen.
    Tijana dachte nicht so. Ungerechte
Worte konnte sie nicht schweigend hinnehmen, wenn sie danach auch fast umkam
vor Angst, und Lehren für die Zukunft nahm sie niemals an.
    »Weshalb sind wir seltsam?« fragte
sie scharf, und ich wußte, daß nichts sie jetzt aufhalten konnte. »Sind wir
seltsam, weil wir niemandem Böses getan haben, weil niemand unseretwegen
Kopfschmerzen hatte, weil wir zu nie mandem ungerecht waren? Oder sind wir
seltsam, weil wir ruhig die Ungerechtigkeit ertragen, die uns angetan wird? Und
was sollten wir tun, Avdaga, um nicht seltsam zu sein? Schimpfen, fluchen,
Klage erheben, die Menschen hassen, Böses ersinnen?«
    »Wo denkst du hin!«
    »Sind wir seltsam, weil der
verachtete Mahmut Neretljak bei uns ein und aus geht? Du nennst ihn einen
erbärmlichen Tropf. Aber siehst du, als das Unglück über uns gekommen ist,
Unglück, sage ich, denn ich habe keine anderen Worte, da hat uns keiner einen
Blick gegönnt, keiner geholfen, nur er. Wer weiß, was ohne ihn aus uns geworden
wäre. Er hat uns von seinem wenigen abgegeben, das werde ich ihm nie vergessen.
Aber jetzt ist er ein erbärmlicher Tropf, und wir sind seltsam! Wo ist dein
Herz, Avdaga? Was willst du von uns?«
    Anfangs erschreckten mich ihre
heftigen Worte, aber als ich sah, wie sehr sie ihn in Verlegenheit brachte,
genoß ich ihre Heftigkeit und seine Verwirrung. Offenbar verlor er seine
Sicherheit, sobald jemand keine Angst vor ihm hatte, das sah ich jetzt zum
zweitenmal. Vielleicht weil er sich über uns nicht klar war,

Weitere Kostenlose Bücher