Die Festung
hast mich in schlechter
Stimmung angetroffen.«
»Wenn du
willst, komme ich ein andermal wieder.«
»Du läufst vor meiner finsteren Miene
weg? Gibst du immer so leicht auf?«
»Ich möchte
nicht stören.«
»Du möchtest nicht stören, du
möchtest nicht schief angesehen werden, du möchtest kein häßliches Wort hören.
Wie möchtest du dann leben?«
»In Armut.«
»Das ist nicht schwer.«
»Es ist auch nicht leicht. Man muß
sich entscheiden.«
Er sah mich erstaunt an.
»Man hält euch für Kinder, aber man
ist überrascht, wenn man sieht, was ihr im Kopf habt.«
»Diese Kinder haben den Krieg
mitgemacht.«
Er schaute aus dem Fenster auf den
schlanken Apfelbaum, der im Wind schwankte. Dann wandte er sich um. Über sein
Gesicht ging ein Schatten. Biß er die Zähne zusammen, um sich gegen eine
Erinnerung zu wehren?
»Erzähle etwas. Irgend etwas.«
»Warum, Šehaga?«
»Ohne Grund.«
»Vom Krieg?«
»Ganz gleich. Nein, es ist nicht
gleichgültig. Nicht vom Krieg.«
»Soll ich von meiner Suche nach
Arbeit erzählen?«
»Ja, erzähle.«
Sollte ich das Kindermädchen für
diesen Fünfzigjährigen spielen, ihn mit einem Märchen von der Angst befreien?
Oder befreite er sich auf diese Weise von mir, um allein zu sein?
Ich schaute seine Hände an, die
lange Finger, kräftige Gelenke, hervortretende Adern hatten, aber dennoch zart
und unsicher waren. Mit ihrer Unruhe verrieten sie mir seine Erregung. Er
bewegte sie unablässig, ließ sie auf die Knie sinken, hob sie an die Brust,
legte sie auf das Tischtuch, ständig flohen sie, ballten und verkrampften sich.
Oder er fügte sie zu einem unentwirrbaren Knoten und preßte sie kräftig, als
wollte er jemanden erwürgen, als wollte er sich selbst Schmerz zufügen. Am
liebsten hätte ich seine vor Anstrengung geröteten Gelenke berührt, um ihn zu
beruhigen, ihn zu sich zu bringen. Vielleicht hätte ihn eine freundschaftliche
Berührung von dem inneren Krampf erlöst, ihm geholfen, sich zu entspannen, zu
weinen, das bedrängte Herz zu befreien.
Ich hielt mich zurück, um ihn nicht
zu verletzen.
Er war zu sehr verhärtet, sein
Schmerz war voller Zorn. Er haßte seinen Schmerz, gestand ihn nicht ein, fühlte
sich erniedrigt. Er versuchte ihn zu verscheuchen, aber er blieb.
Wie vieler schrecklicher Nächte, wie
vieler wilder Kämpfe erinnerte sich dieses Zimmer, in denen er mit seinem
Schmerz wie mit dem Teufel gerungen hatte, wie viele Morgengrauen waren
gekommen, an denen er besiegt, aber nicht besänftigt war? Vielleicht war
bisweilen ein Augenblick des Glücks eingetreten: ich habe ihn bezwungen! Aber
der Schmerz war zurückgekehrt, war wie ein Wasserbüffel aus dem schwarzen Fluß
der Erinnerungen aufgetaucht.
Vielleicht waren das die
Augenblicke, in denen er sich betäubte, dreimal im Jahr, in denen er seine
Sinne abstumpfte, um zu überleben.
Wenn die Zeit den einen Tod
erträglicher gemacht hatte, so hatte der neue Tod den Schmerz verdoppelt, weil
er die Erinnerung an den alten zum Leben erweckte. Jetzt bedrückten ihn beide;
er hatte alles verloren, was er hatte bewahren wollen, und nun quälten ihn der
unerträgliche Schmerz und der Zorn, weil der Mensch unfähig war, sich dem
Unglück zu widersetzen.
Hatte er gestern abend geächzt, als
er es erfuhr, hatte er geweint, geflucht, geschrien, war er mit dem Kopf gegen
die Wand gerannt?
Den einen Tod hatte er mit Trauer
und Haß bezahlt. Wie würde es bei dem anderen sein?
Hätte er sich dem Schmerz
entgegengestellt, hätte er sich nicht zornig gegen die Begegnung gewehrt, den
Kopf drohend zum Himmel erhoben, den Blick haßerfüllt auf die Menschen
gerichtet, auf der Suche nach Erholung in der Qual anderer, wäre ihm leichter
oder schwerer gewesen? Hätte er den Verlust als unabänderlich hingenommen,
voller Bedauern, denn er war weder Gott noch ein Baum, und hätte er sich unter
die Trauer gebeugt, vielleicht hätten ihm dieses Grab und dieser Tote geholfen,
seine Trauer durch Güte zu adeln. Um der Erinnerung an den Sohn willen. Wie
viele brauchten Hilfe!
So aber waren Zorn und
Unversöhnlichkeit in ihm. Und der ständige Gedanke an Rache.
Nicht über den Krieg, hatte er
gesagt. Es tat ihm zu weh.
Also nicht über den Krieg. Damit würde ich ihn
verschonen.
Ich erzählte von Dingen, die ihn
nicht berührten und nicht kränken konnten. Von Mula Ismail,
dem Gott einen wunderbaren, in seiner Stellung kostbaren Mangel geschenkt
hatte, denn er hörte nicht, was die Menschen zu ihm sagten, und
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