Die Festung
geriet nie in
Streit mit seinem Gewissen. Er wußte nicht, was den Menschen weh tat, was ihnen
fehlte, wonach sie verlangten, deshalb war er der unschuldigste und
glücklichste Mensch auf der Welt. Er änderte seine Meinung nicht, denn er
konnte immer dasselbe reden. Er war kein Kleinigkeitskrämer, denn er redete
über Mißgeschicke, die auf die Menschen herabgesandt wurden. Er rief kein
Gezänk und kein böses Blut hervor, denn was er sagte, konnte man weder
bestätigen noch bestreiten. Er verstand weder etwas von seinem Geschäft noch
von einem anderen, aber es war gut, daß er auf diesem Posten saß, denn andere
hätten Schlimmeres angerichtet.
Und von dem Defterdar Bekir-aga
Djugum. Ich hob ihn unter den anderen hervor, denn er hatte sich trotz seiner
hohen Stellung bereit erklärt, mit mir zu sprechen. Zwar hatte man ihm meinen
Namen falsch übermittelt, oder er hatte nicht gewußt, wer ich war, oder mich
mit jemandem verwechselt, denn es wäre das erstemal in der Geschichte des
Menschengeschlechts gewesen, daß ein Defterdar einen so armen Teufel wie mich
empfangen hätte, nur um sich seine Nöte anzuhören, aber das war mir
gleichgültig, er hatte mit mir sprechen wollen, und dafür war ich ihm dankbar.
Und er hätte mir geholfen, für das Gegenteil gab es keine Beweise, ich zog es
vor, das zu glauben, was mir lieb war, nicht das, was wahrscheinlich war. Das
Unglück war nur, daß gerade ich auf solche Treue und Ergebenheit wie die
seinige getroffen war, denn andere Diener gingen gewöhnlich nicht am Tod ihrer
Herren zugrunde. Vielleicht sollte man den schönen Brauch einführen, den
Bekir-aga Djugum durch sein Beispiel begründet hatte: daß alle mit ihren Herren
starben wie die indischen Frauen mit ihren Männern, denn es war nicht redlich,
daß sie ihren ergebenen Dienst durch Verrat krönten, indem sie einem anderen
dienten. Zwar konnte das auch die böse Folge haben, daß niemand mehr einen
wichtigeren Posten annahm, wodurch das Volk sehr geschädigt würde, aber für
einen schönen Grundsatz lohnte es auch, etwas zu opfern.
Von dem Kaufmann Hadschi Fejzo
erzählte ich wenig. Daß er ein guter Mensch war, daß er mir eine Gelegenheit
geboten hatte, wie vielen jungen Männern, die nicht prüde und kleinlich waren
und etwas für die Aufmerksamkeit und Freundschaft Hadschi Fejzos übrig hatten,
was in dieser kalten und seelenlosen Welt keine geringe oder unwichtige Sache
war. Fejzo war ein weichherziger und großmütiger Mann, er verlangte wenig und
bot viel, aber ich hatte für seine Freundschaft und Großherzigkeit kein
Verständnis gehabt, was allein meine Schuld war, nicht seine.
Dann verlor ich die Lust zu spotten
und ihn mit abgeschmackten Scherzen aufzumuntern. Ich bemerkte, daß er kaum
zuhörte. Er hatte mich zum Sprechen gebracht, um mit sich allein zu sein.
Ich verstummte.
Er wunderte sich nicht, fragte
nicht, warum ich nicht weitererzählte, er drehte sich langsam zu dem hohen
Apfelbaum auf dem Hof um, und sein Gesicht verzog sich schmerzlich.
Warum sollte ich nicht unmittelbar
über den Anlaß seiner Trauer sprechen? Ich hatte seinem Wunsch entsprochen,
irgend etwas zu erzählen, damit er seinen Schmerz unterdrücken und wegschieben
konnte. Und ich hatte einen Fehler gemacht, wie auch er.
Ich wollte ihn auf seine Toten
hinweisen, mochte er sich an sie gewöhnen.
»Hat der Hafis Abdulah auf diesem
Platz gesessen?«
Er sah mich überrascht an, als
könnte er nicht glauben, daß ich seine Gedanken erraten hatte. Aber er
antwortete nicht. Er stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei
er die auf dem Rücken verschränkten Hände aneinanderpreßte.
Ich gab nicht auf.
»Sicher hat er gern diesen Apfelbaum
angeschaut?«
»Woher weißt du das?«
»Ich sehe es dir an. Du denkst
immerfort an ihn.«
Er blieb am Fenster stehen, mit dem
Rücken zu mir. Woher weißt du das? hatte er gesagt. Wollte er das Gespräch über
seinen toten Freund fortsetzen, um sich zu Lebzeiten an ihn zu erinnern oder um
seinen Tod zu beklagen?
Aber Šehaga war schwer zu
durchschauen, und er ergab sich nicht leicht. Er wich der
Gegenüberstellung wieder aus.
Ohne sich umzuwenden, lenkte er das
Gespräch auf mich.
Deshalb hatte er mich hergebeten,
deshalb war ich gekommen. Und er schützte diesen Grund
vor, um mich nicht in seine Welt zu lassen.
»Wovon lebst du?«
»Das weiß ich selbst nicht.
Vielleicht von der Liebe.«
Dieses Thema fiel ihm leichter, denn
es betraf ihn nicht.
»Ein schönes
Weitere Kostenlose Bücher