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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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er zu sich
kommt, schweigt er, zieht sich zurück, haßt die Menschen – macht er den Mund
auf, dann beschimpft er Gott und die Welt, er überlegt nicht, was er spricht oder
tut. Er ist allen zum Ärgernis geworden, besonders der Obrigkeit, die haßt ihn,
aber sie kann ihm nichts anhaben. Er hat hier und in Konstantinopel zuviel
Macht. Die Leute schulden ihm zuviel, und er hat keine Eile, das Geld einzutreiben,
so behält er sie in der Hand. Ich habe Angst um ihn, wenn er zu trinken
anfängt, ihm kann noch einmal ein Unglück zustoßen, ohne daß man etwas davon
erfährt. Und nun ist er wieder auf dem besten Weg, dabei ist die Zeit noch
nicht heran. Und wir alle werden vor Angst fast verrückt werden, solange wir
nicht erfahren, wo er sich aufhält. Und warum ist es jetzt dazu gekommen?
Gestern ist Šehagas bester und einziger Freund in der Stadt, der Hafis Abdulah
Delalija, von Halunken überfallen und halbtot geschlagen worden, als er aus der Moschee vom
Abendgebet kam. Er lebte noch, als man ihn auf der Straße fand, aber er starb, während er nach Hause gebracht
wurde. Šehaga war heute morgen beim Kadi, er war auch beim
Wali, sie bedauern sehr, aber sie wissen nichts, und sie haben versprochen, die Schuldigen vor Gericht zu bringen
und der verdienten Strafe zuzuführen. Das werden sie tun, wenn
ich Großwesir werde! Von diesen leeren Versprechungen hat Šehaga nichts. Sein Freund ist getötet worden – kein Tag
verging, an dem sie sich nicht sahen –, und nun hat er niemanden mehr. Er hat
den Wali angeschrien, den Kadi bedroht, jetzt schweigt er, trinkt keine Milch
und macht sich zur Flucht bereit, um zu vergessen.«
    Diese merkwürdige Geschichte
erschütterte mich, und mehr noch die schreckliche Neuigkeit. Wurde die angekündigte
Strenge schon in die Tat umgesetzt? Oder blieb die alte Gewalt in Kraft?
    Tags zuvor, bei der Rede des alten
Mannes, war mir zufällig Hadschi Duhotina eingefallen, aber siehe, es war nicht zufällig gewesen. Die Täter
waren dieselben, die auch mich für meine unerwünschten Worte bestraft hatten,
nur hatten sie den Hafis Abdulah zu hart angefaßt, oder er war in seinen Jahren
nicht mehr so widerstandsfähig gewesen wie ich.
    »Gestern hat er in der Moschee
gesprochen«, sagte ich leise. »Er war nicht damit einverstanden, daß strenge
Maßnahmen angewandt werden.«
    »Nun wird er nicht mehr sprechen. Er
wird mit jedem einverstanden sein.«
    Dann erklärte Osman, warum er zu mir
gekommen war. Er hatte gehört, wie sich Šehaga mit Mula Ibrahim über mich unterhielt.
Es hatte sich herausgestellt, daß ich ein Altersgenosse von Šehagas Sohn war, daß
wir zur gleichen Zeit im Krieg gewesen waren und daß ich ebenso ein Narr war
wie er. Er wollte mich mit Šehaga
zusammenbringen, damit er sich an seinen Sohn erinnere, damit ihn das
Vergangene schmerze und er nicht an den frischen Tod seines Freundes denke. Und an das schreckliche
Trinken. Ich eigne mich sehr gut dafür. Naiv, hilflos, die reinste
Nacktschnecke, die sich am kleinsten Dorn bis aufs Blut
verletzen konnte, ohne Arbeit, das Opfer anderer, er, Osman, wisse zwar, wie
unvernünftig ich zum Opfer geworden war, aber Šehaga wisse es nicht, und es sei ihm
gleichgültig, es könne sehr wohl geschehen, daß er sich um mich kümmere und zu
meinem Beschützer würde. Das wäre für mich
und für Šehaga gut, ich würde Nutzen aus seiner Schwäche ziehen, und Šehaga
würde Freude an der eigenen Großzügigkeit finden.
    Es war lächerlich, zu denken, daß
ich Balsam für jemandes Wunden sein konnte, aber sei's drum. Osman Vuk war
nicht dumm, er wußte sicher, was er tat. Vielleicht versuchte er es nur, aber
auch ein Versuch lohnte.
    Ich war in der Hoffnung mitgegangen,
daß Šehaga mir helfen würde, und dabei hoffte Osman, daß ich Šehaga half.
    »Sprich vom Krieg«, empfahl mir
Osman. »Und wie alt du warst. Aber kein Wort vom Hafis Abdulah.«
    Als ich an Šehagas Tür klopfte, rief
er mich hinein, aber er freute sich nicht, mir schien sogar, als wäre es ihm
nicht recht, daß ich in diesem Augenblick
kam, da es für ihn nur seine Trauer gab. Er saß auf der Bank, sah mich
gleichgültig und lustlos an, er versuchte nicht einmal einen Gedanken an mich
zu verschwenden.
    Ich sagte, ich käme auf seine Bitte,
Mula Ibrahim habe sie mir ausgerichtet, ich sei Schreiber bei ihm gewesen,
Ahmet Šabo sei mein Name.
    »Ich weiß«,
unterbrach er mich.
    Seine Aufmerksamkeit war also
erwacht, und er bot mir Platz neben sich an.
    »Verzeih, du

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