Die fetten Jahre
daran scheitern. Um dieser Gefahr zu entgehen, sah das Regime nur eine Lösung: die Kontrolle der Warenpreise.
Für He Dongsheng war dies der methodisch umstrittenste und in der Praxis am schwersten umsetzbare Punkt von Feuer, Eis und Gold. Jeder in westlichen Wirtschaftstheorien geschulte Experte würde schon bei Erwähnung des Wortes »Preiskontrolle« mit reflexartiger Ablehnung reagieren. He Dongsheng, der sich sein Wissen über Ökonomie selbst angeeignet hatte, hätte früher genauso reagiert. Aber in den letzten Jahren hatte er sich intensiv mit der Wirtschaftsgeschichte des Westens beschäftigt und dabei festgestellt, dass die reichen Industrienationen im vergangenen Jahrhundert mehrmals mit Erfolg bestimmte Waren einer Preiskontrolle unterworfen hatten – und das in ansonsten durchweg kapitalistischen Ländern. Mit Staunen hatte er gelesen, wie der Bankier Walther Rathenau während des Ersten Weltkriegs erfolgreich die Wirtschaftsplanung des Deutschen Reichs orchestrierte. Auch zu Zeiten des Dritten Reichs hatte man wirkungsvoll Kapitalismus und Planwirtschaft miteinander vereint. Was He Dongsheng jedoch am meisten ermutigte, war die Wirtschaftspolitik Franklin D. Roosevelts während des Zweiten Weltkriegs: Mithilfe kontrollierter Warenpreise war es den USA nicht nur gelungen, die enormen Kriegskosten zu schultern; sie hatten sich damit auch endlich aus den Fängen einer zwölf Jahre währenden Rezession befreit. Der bekannte Ökonom John Galbraith war damals Leiter der Preiskontrollbehörde, Chef von sechzehntausend Mitarbeitern. Bevor er 1972 zum Vorsitzenden der American Economic Association gewählt wurde, hatte er eine Monografie zum Thema Preiskontrolle verfasst und sprach sich auch während der Stagflationsphase in den siebziger Jahren erneut für diese Taktik aus. Es waren also durchaus nicht alle westlichen Ökonomen grundsätzlich strikt gegen Preiskontrollen. Nur war sie als regulatorisches Mittel in einer Marktwirtschaft in Vergessenheit geraten, da seit vierzig Jahren die Chicagoer Schule und andere Vertreter des Marktfundamentalismus’ den Ton angaben.
Nach und nach hatte He Dongsheng bei seinen Studien diese für seinen Plan nicht zu unterschätzende Erkenntnis gewonnen und damit begonnen, die chinesischen Verhältnisse unter die Lupe zu nehmen. Zum Glück war noch ein Großteil der Offiziellen Chinas in der sozialistisch gelenkten Volkswirtschaft verwurzelt; nach außen hin akzeptierten sie zwar die Marktwirtschaft, aber innerlich frohlockten sie, sobald einer von Steuerung oder Kontrolle sprach, daher gelang es He Dongsheng schnell, sie auf seine Seite zu ziehen und davon zu überzeugen, dass marktzuträgliche Preiskontrollen sinnvoll und machbar waren, ja sogar unverzichtbar in Zeiten so großer wirtschaftlicher Umwälzungen. Sie würden den Markt stützen und verhindern, dass die neu entstandenen Industrien sich selbst vernichteten und nicht als Ersatz für bereits ausgereifte Marktfunktionen dienen.
He Dongshengs Preiskontrollmannschaft bestand jedoch nicht aus ideologisch verblendeten Funktionären. Im Kern bestand sie aus einer Reihe Technokraten um die Fünfzig, die über viel Erfahrung mit Preisregulation aus dreißig Jahren Reform- und Öffnungspolitik verfügten; dazu die besten Statistiker und Ökonometriker von allen Eliteuniversitäten des Landes. Sie hatten Zugang zu Datenbanksoftware und einem landesweiten Informationsnetz – Dinge, die zu Zeiten der Planwirtschaft nicht verfügbar gewesen waren; Verbraucher, Produzenten und Menschen auf der ganzen Welt konnten sich stets aktuell über die neuesten Preisanpassungen informieren. Die Preiskontrolle gab klar und unmissverständlich den tatsächlichen Wert eines Produktes an; durch sie verdienten nicht die Händler, sondern sie förderte die Produktion und verhinderte Preistreiberei und künstliche Verknappung. Man musste genau im Auge haben, wo Kontrolle nötig war und wo nicht, und wie Angebot und Nachfrage sich zueinander verhielten. Es galt, drastische Schwankungen nach oben oder unten zu vermeiden, vor allem aber wollte der richtige Zeitpunkt erkannt sein, um die Kontrolle wieder dem Markt selbst zu überlassen. Ein rückgekoppeltes Regulationssystem dieser Größenordnung versetzte selbst die anfangs noch kritisch eingestellten Medien im Ausland in ungläubiges Staunen.
Eine diktatorische Regierung konnte über noch so viel Autorität verfügen – nur mithilfe modernster Informations- und Messtechnologien ließ sich
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