Die fetten Jahre
überreichte, für die man eine Ausreiseerlaubnis erbat. Eine dramatische Wende in den sino-amerikanischen Beziehungen bahnte sich an, und die chinesische Seite demonstrierte ihr Wohlwollen, indem sie einem Teil der genannten Personen genehmigte, das Land zu verlassen. Unter ihnen war auch Fang. Sein Vater war bei der Kuomintang-Regierung in Ungnade gefallen, und die USA hatten ihm politisches Asyl gewährt.
Fang wurde benachrichtigt und bekam von der Polizeibehörde einen Passierschein ausgestellt. Er nahm sich Zeit, besichtigte vor der Abreise noch den Sommerpalast und stattete auch dem Tempel, in dem er aufgewachsen war, einen Besuch ab, um dem alten Wachmann Lebewohl zu sagen. Was Fang um Himmels Willen dann noch hier wolle, rief der, als er die Neuigkeiten hörte. Was, wenn die Politiker es sich wieder anders überlegten? Fang solle sofort den Zug nach Hongkong nehmen, drängte er. Dann holte er aus einem Versteck im hintersten Winkel des Tempels ein paar Streifen Blattgold hervor, die er vor langer Zeit bei Restaurierungsarbeiten abgezweigt hatte, verkaufte sie und gab Fang das Geld mit auf die Reise. Fangs Mutter habe ihr Leben für den Tempel gegeben, sagte er. Bis zuletzt habe sie darauf bestanden, dass er ein rein spiritueller Ort sei und es dort keine reaktionären Aktivitäten gegeben habe. Ihr allein sei es zu verdanken, dass der Tempel mitsamt seiner siebenhundertjährigen Geschichte heute noch existierte. Indem er Fang half, ehrte er das Opfer der Hohepriesterin. Es war Fangs Glück, dass er das Geld bei sich hatte. Auf die tagelange Zugfahrt folgte eine Woche des Wartens in Kanton, bis Hongkong endlich bereit war, ein weiteres Kontingent an Menschen aufzunehmen. Noch zwei Tage in Shenzhen, dann wurde er an die Grenze bei Lo-Wu vorgelassen. Fang hatte weder einen Pass noch sonstige Ausweispapiere dabei, lediglich den zerknitterten Passierschein mit seinem Namen, doch nach Abgleich mit ihrer Liste ließen ihn die Grenzer tatsächlich durch. So gelangte Fang nach Hongkong.
Als er in der amerikanischen Vertretung sein Visum abholen wollte, gab es jedoch ein Problem: Fang hatte China nicht auf illegalem Weg verlassen, sondern ganz regulär mit Passierschein. Somit galt er nicht als politischer Flüchtling und durfte daher nicht gleich in die USA weiterreisen, sondern musste erst einen offiziellen Antrag auf Familienzusammenführung stellen.
Fang nahm sich ein Zimmer in einer billigen Absteige in den Chungking Mansions in Tsim Sha Tsui, wo er letztendlich gut ein halbes Jahr auf sein Visum wartete. Die Erlebnisse und Bekanntschaften an diesem legendären Ort eröffneten ihm den Blick in eine völlig neue Welt. Er lernte Geschäftsleute und Backpacker aus über fünfzig Ländern der Erde kennen, darunter auch einen Hippie aus Amerika, der viele Jahre im indischen Goa verbracht hatte. Ein müder Vogel weiß, wann die Zeit zur Rückkehr gekommen ist, heißt es in China – und dieser Vogel erzählte dem staunenden Fang von einer autarken Hippiekommune in den Staaten, in der er weiter ein Leben in absoluter Freiheit führen wollte. Fang beneidete ihn darum.
Schließlich reiste Fang nach Kalifornien. In Monterey Park traf er seinen mittlerweile hochbetagten Vater, den er seit seiner frühesten Kindheit nicht mehr gesehen hatte. Da er sich seinerzeit viele Feinde gemacht hatte, lebte Fangs Vater in ständiger Angst vor Vergeltung. Er verließ so gut wie nie sein Anwesen, das nach allen Seiten von hohen Mauern umgeben war; selbst sein Schlafzimmer war mit einer Stahltür gesichert. Er hatte noch einmal geheiratet. Fang blieb einen knappen Monat bei ihm. Sein Vater schickte ihn nach Houston, Texas, wo einer seiner ehemaligen Untergebenen Fang aufnahm. Der Alte betrieb in Chinatown ein Geschäft für antike Möbel und sonstigen Krimskrams, über dem er mit seiner Familie auch wohnte. Er hatte eine Tochter im Teenageralter und beide Seiten kamen überein, dass es am besten sei, wenn Fang sie heiratete. Die völlig verwestlichte Tochter war jedoch alles andere als erfreut über die Pläne ihrer Eltern und weigerte sich, mit Fang auch nur am selben Tisch zu essen. So nahm er seine Mahlzeiten alleine in einem Lagerraum hinter dem Laden ein. Das Leben in Chinatown entsprach nicht dem Bild, das Fang sich von den Vereinigten Staaten gemacht hatte.
Nach ein paar Monaten nahm er Kontakt zu seinem Hippiefreund aus Hongkong auf, verließ Houston und schloss sich der Kommune in New Mexico an. Es war ein Stück
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