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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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Programm betraut gewesen, das die Ausbildung einer Spezialeinheit mit übersinnlichen Kräften zum Ziel hatte. Das wurde auch Fang bereits in die Wiege gelegt: Er kam in einem altehrwürdigen daoistischen Tempel östlich der Stadt zur Welt, dessen oberste Priesterin seine Mutter war. Nach dem Sieg der Kommunisten wurde das Kloster dem Verteidigungsministerium unterstellt und nicht etwa der Religionsbehörde, offenbar waren der KP die daoistischen Geheimlehren nicht ganz geheuer.
    Nach der landesweiten Machtübernahme begann die Kampagne gegen Konterrevolutionäre, gegen nationalistische Agenten, Gangster und Geheimlehren, der jeder zum Opfer fallen konnte, der eine Kampfkunst oder irgendein anderes körperliches oder mentales Training praktizierte. Maos Feststellung zufolge machten Konterrevolutionäre ein Tausendstel der Bevölkerung aus und als erster Schritt war die Hälfte von ihnen hinzurichten. Ehemalige Staatsbedienstete der Nationalregierung, die sich den Kommunisten ergeben hatten, wurden massenhaft umgebracht, unter den Ermordeten auch viele Mitglieder des kommunistischen Untergrunds und einige bekannte Schriftsteller. Nach dem Ende der Kampagne war die Macht der Triaden auf dem Festland ebenso gebrochen wie die jahrtausendealte Tradition der chinesischen Geheimlehren. Nur wenige Anführer und Eingeweihte entkamen ins Exil nach Taiwan oder Hongkong. So auch Fangs Vater: Da er in jede nur erdenkliche konterrevolutionäre Akti­vität involviert war, setzte er sich auch auf die Insel ab. Fangs Mutter, der daoistischen Hohepriesterin, war dieses Glück nicht beschieden; sie starb in einem Gefängnis in Peking.
    Fang, Nachkomme eines republikanischen Agenten, kriminellen Unterweltlers und konterrevolutionären Geheimbündlers, wuchs in einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten, entspiritualisierten daoistischen Tempel auf, zu dem der Zutritt nur einem kleinen Personenkreis gestattet war. Einer der Wachmänner hatte sich des Jungen angenommen. Er zog ihn auf, lehrte ihn die unterschiedlichsten Arbeiten im Tempel und schickte ihn zur Schule.
    Obwohl Fang einen passablen Abschluss machte, war aufgrund seines familiären Hintergrunds nicht an ein Studium zu denken. Weil er ein paar Monate zu alt war, wurde er nicht – wie die anderen Jugendlichen – aus der Stadt aufs Land verschickt, und blieb auch bei der Bildung der Roten Garden außen vor. Er sollte Grundschullehrer in Mentougou werden, einem jenseits der alten Stadtmauern gelegenen Vorort im Westen Pekings; doch noch vor Beginn des neuen Schuljahres eskalierte die Kulturevolution, und statt in der Schule Kinder zu unterrichten, musste er mehrere Jahre in einem nahegelegenen Kohlebergwerk schuften. Eines Tages im Jahr ’71 – ganz plötzlich, wie er mir erzählte – überkam ihn der Drang, sich den kaiserlichen Sommerpalast anzusehen, von dem er zwar schon viel gehört, aber noch nichts gesehen hatte. Jetzt oder nie, dachte er. Doch an dem Tag, als er sich auf den Weg machte, stieß er nach kurzer Zeit auf eine Straßensperre. Nicht weit entfernt lag Yuquanshan, ein militärisches Sperrgebiet, und es sah ganz so aus, als wäre die dort stationierte Garnison in Alarmbereitschaft versetzt worden oder hätte gar den Marschbefehl erhalten. Zurück im Bergarbeiterwohnheim sagte er zu seinen Kumpel: Es ist etwas Großes im Gange. Er behielt recht. Wenig später kam die schockierende Nachricht von Lin Biaos Verrat und dem heimlichen Fluchtversuch des designierten Mao-Nachfolgers, der mit dem Absturz seiner Maschine in der äußeren Mongolei geendet hatte. Von diesem Tag an verweigerte Fang den Arbeitsdienst. Damals sah er »das Ende der Geschichte« gekommen, erzählte er mir. Er schrieb einen Zettel, den er in eine Spalte in einem der weißen Marmorpfeiler der großen Brücke steckte, die von der verbotenen Stadt über die Seen des Pekinger Beihei-Parks zum Regierungsviertel Zhongnanhai führt: »Die Geschichte wurde angehalten, jedes Fortschreiten unmöglich, jede neue Revolution nur Konterrevolution. Ich lasse mich nicht weiter belügen! Wer gibt euch das Recht, mich ins Bergwerk zu stecken?«
    Er blieb mit schweren Asthmaanfällen im Wohnheim und weigerte sich, wieder in die Grube zu fahren. Ganz gleich, wie sehr man ihm auch drohte.
    Es war entweder während einem der beiden Besuche Kissingers ’71 oder ein Jahr später beim Besuch Nixons, dass jemand der chinesischen Führung eine Liste mit den Namen von Angehörigen chinesischstämmiger US-Bürger

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