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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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Ackerland inmitten der Einöde, auf dem die Kommunarden selbst Bio-Gemüse, Obst und Kräuter anpflanzten, Kleider nähten und Honig, Marmelade und Kerzen herstellten. Das gab ihnen das Gefühl, autark zu sein, aber in Wirklichkeit kauften sie Getreide, Material und Maschinen, moderne Konsumgüter und Medizin in der Stadt, einschließlich Fangs Asthmaspray. Aber auch wenn es keine echte Subsistenzwirtschaft war, so erforderte das Leben auf dem Lande doch einiges an körperlicher Arbeit. Die Hippies stammten hauptsächlich aus der weißen städtischen Mittelschicht und waren damit ziemlich überfordert. Fang hingegen hatte in China gelernt anzupacken, hatte ein gutes Händchen für alle Arten von Reparaturen und redete nicht viel, was ihm zusammengenommen zu großer Beliebtheit in der Kommune verhalf. Er verbrachte einige glückliche Jahre dort, bis die Gemeinschaft sich zerstritt und mehr und mehr auseinanderbrach. Die Hippiebewegung ebbte langsam ab und ihren Kommunen schwanden die Mitglieder dahin, bis schließlich nach dem Ende des Vietnamkriegs der größte Teil von ihnen vor dem Aus stand. Auch Fangs Kommune bildete da keine Ausnahme. Es kamen keine neuen Leute nach, viele der alten Mitglieder verließen die Gemeinschaft, einige wenige kamen zurück, blieben eine Weile und gingen schließlich doch wieder. Am Ende waren nur noch Fang und eine Frau mittleren Alters übrig, die alle immer bloß »Mama« genannt hatten. Mama wollte die Stellung halten, Fang ebenfalls. So lebten die beiden zu zweit zusammen, Jahr um Jahr, bis sich ihr Verhältnis kaum noch von einer herkömmlichen Paarbeziehung unterschied.
    Schließlich, es war Anfang der achtziger Jahre, kam der Tag, an dem Mama Fang erklärte, sie sei zu alt fürs Hippiedasein. Sie wolle nach Hause an die Ostküste, um bei ihrer Tochter zu leben. Also stellten sie Wasser und Strom ab, vernagelten die Türen und Fenster der Farm und fuhren mit dem Auto quer durch die USA nach Maryland, wo sie sich Lebewohl sagten. Fang fuhr alleine weiter gen Norden, über New York und Philadelphia bis nach Boston, wo er erneut Fuß fasste. Er fand Arbeit in einem Chop-Suey-Restaurant im örtlichen Chinatown, dessen Besitzer ihn sehr schätzte, und so blieb er für einige Jahre dort.
    Eines Tages hatte er den spontanen Einfall, in die Harvard-Yenching-Library zu fahren. Einmal damit angefangen, gab es für ihn kein Halten mehr, er übernahm nur noch die Abendschicht im Restaurant und joggte jeden Tag vom Bostoner Chinatown mit kleinen Schritten zu dieser in Cambridge gelegenen Bibliothek, wo er sich in chinesischen Büchern und Zeitschriften vergrub. Damals begann er, Leserbriefe an die Redaktion der Ming Pao Weekly zu schreiben.
    In meiner Zeit in Hongkong interviewte ich hauptsächlich die kulturellen Größen Chinas. Fangs Lebensgeschichte fand ich zwar interessant; für ein Porträt oder Interview reichte es jedoch noch nicht. Es vergingen einige Jahre, bis ich mir im Jahr 2006 das zweite Mal Aufzeichnungen zu ihm machte. Nach diesem Treffen stand ich kurz davor, sein Leben zu einem Roman zu verarbeiten, denn Fang hatte die Gabe, sich zur ungewöhnlichsten Zeit an den ausgefallensten Orten herumzutreiben.
    So war er ’89 wirklich nach China zurückgekehrt, hatte das Land jedoch 1992 nach Deng Xiaopings Südinspektion wieder verlassen, also stets genau entgegen dem allgemeinen Trend. Zurück in den USA schrieb er mir einen Brief, in dem er mir erzählte, wie er sich im New Yorker Chinatown mit allen möglichen Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt. Das weckte mein Mitleid. Ich arbeitete damals gerade in Taiwan bei der United Daily News und wusste, dass das Nachrichtenmagazin der befreundeten China Post ein Büro in New York unterhielt, also empfahl ich den Kollegen dort Fang als neuen Mitarbeiter. Wider Erwarten wurde er tatsächlich als Aushilfe eingestellt und stieg schon nach kurzer Zeit zum Hilfsredakteur auf. Ich erhielt einen überschwänglichen Dankesbrief und war überhaupt sehr zufrieden mit mir, denn Fang war ein Mann mit viel Welterfahrung sowie passablen sprachlichen Fähigkeiten und damit bestens geeignet für die Arbeit bei einem Nachrichtenmagazin. Dass es wenig später eingestellt werden würde, konnte ja niemand vorher­sehen.
    Als ich das nächste Mal Post von ihm erhielt, war er gerade in Nigeria. Ein nigerianischer Freund hatte ihn dorthin eingeladen. Sie kannten sich aus gemeinsamen Zeiten in den Chungking Mansions, und Fang hatte all die Jahre Kontakt zu

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