Die Feuer des Himmels
Couladin, jedenfalls auf gewisse Weise. Vor fast fünfhundert Jahren hatten die Aiel Cairhien einen Schößling des Avendesora-Baums zum Geschenk gemacht und damit auch gleichzeitig ein Recht, das keiner anderen Nation zuteil wurde, nämlich, durch die Wüste hindurch bis Schara Handel zu treiben. Sie hatten keinen Grund dafür genannt, denn für die Feuchtländer hatten sie, vorsichtig ausgedrückt, nichts übrig, aber Ji'e'toh hatte das von den Aiel gefordert. Während der langen Wanderjahre, die sie schließlich in die Wüste geführt hatten, gab es nur ein Volk, das sie nie angegriffen hatte und das sie alles Wasser haben ließ, was sie brauchten, obwohl die Welt langsam auszutrocknen schien. Und endlich hatten sie die Nachkommen dieses Volks ausfindig gemacht: die Menschen aus Cairhien.
Fünfhundert Jahre lang waren so mit der Seide und dem Elfenbein Reichtümer nach Cairhien geflossen. Fünfhundert Jahre, und Avendoraldera gedieh in Cairhien. Und dann ließ König Laman den Baum fällen, um sich daraus einen Thron anfertigen zu lassen. Die Länder kannten den Grund, aus dem die Aiel vor zwanzig Jahren das Rückgrat der Welt überquert hatten. ›Lamans Sünde‹ nannten sie es, und ›Lamans Stolz‹, aber nur wenige wußten, daß es für die Aiel gar kein Krieg gewesen war. Lediglich vier Clans waren aufgebrochen, um einen Meineidigen zu stellen, und als sie ihn getötet hatten, waren sie ins Dreifache Land zurückgekehrt. Doch ihre Verachtung für die Baummörder, die Meineidigen, hatte sich nie gelegt. Die Tatsache, daß Moiraine eine Aes Sedai war, ließ die Aiel ihre Cairhiener Herkunft vergessen, doch in welchem Maße, darüber war sich Rand auch nicht ganz im klaren.
»Diese Menschen haben niemals einen Eid gebrochen«, sagte er zu ihnen. »Sucht die anderen. Der Sattler meint, es seien an die hundert. Und geht sanft mit ihnen um. Falls welche von ihnen die anderen beobachtet haben, flüchten sie vielleicht mittlerweile geradewegs in die Berge.« Die beiden Aiel wandten sich schon um, da fügte er noch hinzu: »Habt Ihr gehört, was sie mir sagten? Was haltet Ihr von dem, was Couladin hier getan hat?«
»Sie haben mehr getötet, als notwendig war«, sagte Dhearic, wobei er den Kopf angewidert schüttelte. »Wie die schwarzen Frettchen, wenn sie in einer Schlucht über ein Nest von Berghühnern herfallen.« Töten war genauso leicht wie Sterben, sagten die Aiel; jeder Narr konnte das.
»Und das andere? Menschen gefangennehmen? Gai'schain?«
Rhuarc und Dhearic tauschten einen kurzen Blick, und Dhearic verzog den Mund. Offensichtlich hatten sie davon gehört und fühlten sich keineswegs wohl bei dem Gedanken. Es bedeutete schon einiges, wenn sich ein Aiel so wand.
»Es kann nicht angehen«, sagte Rhuarc schließlich. »Falls es stimmt... Gai'schain sind eine Frage der Ehre, des Ji'e'toh. Niemand kann zum Gai'schain gemacht werden, der nicht den Weg des Ji'e'toh geht. Sonst sind sie lediglich menschliches Vieh, wie es die Shaarad halten.«
»Couladin hat den Weg des Ji'e'toh verlassen.« Bei Dhearic klang das, als behaupte er, aus Steinen seien Flügel gewachsen.
Mat lenkte Pips durch einen kurzen Schenkeldruck näher heran. Er war nie ein mehr als durchschnittlicher Reiter gewesen, aber manchmal, wenn er an etwas ganz anderes dachte, ritt er, als sei er auf dem Rücken eines Pferdes geboren. »Überrascht Euch das?« sagte er. »Nach allem, was er bereits getan hat? Der Mann würde noch die eigene Mutter beim Würfeln betrügen.«
Sie blickten ihn eisig an. Ihre Augen wirkten wie blaue Gemmen. Auf gewisse Weise waren die Aiel Ji'e'toh. Und was Couladin auch sein mochte, in ihren Augen war er noch immer ein Aiel. Die Septime stand über dem Clan, der Clan über allen Außenseitern, und die Aiel über allen Feuchtländern.
Ein paar Töchter des Speers hatten sich ihnen genähert, Enaila, Jolien, Adelin und dazu die drahtige, weißhaarige Sulin, die man zur Dachherrin des Dachs der Töchter in Rhuidean gewählt hatte. Sie hatte den dort zurückgebliebenen Töchtern empfohlen, eine andere zu wählen, und führte statt dessen nun die Töchter hier an. Sie spürten die lastende Stimmung und sagten nichts, steckten nur die Speere geduldig mit der Spitze nach unten in den Boden. Wenn ein Aiel die Geduld bewahren wollte, wirkten selbst die Felsbrocken in Eile.
Lan brach das Schweigen. »Wenn Couladin erwartet, daß Ihr ihm folgt, hat er vielleicht irgendwo auf dem Paß eine Überraschung hinterlassen.
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