Die Feuer von Córdoba
einer stattlichen Anzahl hektischer roter Flecken im Gesicht, der kurz nach Dienstbeginn in der Schreibstube aufgetaucht und gleich darauf wieder verschwunden war. Über die Auswirkungen seiner vagen Andeutung konnte er sich nicht mehr wundern, denn als die Männer alle gleichzeitig zu reden und durcheinander zu laufen begannen, war er längst wieder fort.
Mittlerweile war das ein paar Stunden her, und die Wogen hatten sich etwas geglättet, aber von Normalität konnte immer noch nicht die Rede sein. Seit den frühen Morgenstunden lagen Federn und Pergamentrollen unbeachtet auf den Pulten, niemand stand an seinem Platz, um zu arbeiten. An diesem Morgen wurden weder Listen angefertigt noch Briefe geschrieben oder öffentliche Bekanntmachungen kopiert. Alle redeten miteinander, und jedes Gespräch drehte sich nur um ein einziges Thema – den Kaiser. Und so stand Anne statt an ihrem Schreibpult in der Ecke an einem der Fenster und langweilte sich. Um sich die Zeit zu vertreiben, beobachtete sie die Schreiber, die in kleinen Gruppen von zwei, drei Mann beisammenstanden und wie aufgeregte Vierzehnjährige miteinander tuschelten.
Fehlt noch, dass sie »Kaisersammelbilder« oder andere Souvenirs miteinander tauschen, dachte sie und wandte ihre Aufmerksamkeit Fernando Rodriguez, dem Obersten Schreiber , zu. Er war ein strenger, aber gerechter Mann, mit den langsamen, bedächtigen Bewegungen und dem Aussehen einer Riesenschildkröte, den nichts und niemand aus der Ruhe zu bringen vermochte. Trotzdem wanderte er sichtlich nervös in einem für ihn geradezu atemberaubenden Tempo zwischen den Pulten hin und her, um zu kontrollieren, ob auch wirklich jedes Tintenfass gefüllt war und überall saubere Federn und Pergamente bereitlagen, obwohl er sich bestimmt schon hundertmal an diesem Morgen davon überzeugt hatte.
Mit Anne selbst arbeiteten zwanzig Schreiber in der Schreibstube, und doch gesellte sich jetzt niemand zu ihr, um sie zu fragen, was sie davon hielt, dass der Kaiser kommen wollte. Seit beinahe zwei Wochen arbeitete sie außer sonntags mit diesen Leuten zusammen. Sie schrieben an den gleichen Listen und Briefen, sie arbeiteten im selben Raum. Wenn sie in die nebenan liegende Kammer gehen musste, um sich eine neue Rolle Pergament zu holen oder ihr Tintenfass aufzufüllen , stolperte sie förmlich über die Füße und Pulte ihrer Arbeitskollegen, aber noch keiner von ihnen hatte ein Wort mit ihr gewechselt. Abgesehen von Juan natürlich und Fernando Rodriguez, dem Obersten Schreiber, von dem sie jedoch nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob er überhaupt zur Kenntnis genommen hatte, dass sie eine Frau war. Den Übrigen war es keineswegs entgangen. Und sie nahmen es ihr gründlich übel. Sie war in die sichere, abgeschottete Welt der Männer eingedrungen und hatte einen Platz eingenommen, der ihr als Frau nicht zustand. Und das Schlimmste daran war, was ihr keiner der Kollegen verzeihen konnte, dass sie ihre Arbeit nicht nur gut, sondern sogar besser machte als alle anderen. Sie war so gut, dass Fernando Rodriguez sie erst gestern bei der Übersetzung eines italienischen Briefes aus Rom um Rat gefragt hatte. Das war natürlich ein schwer zu verdauender Brocken für Männer, die von ihren Frauen daheim nichts anderes als stillen Gehorsam, eine gute Mahlzeit und saubere Wäsche gewohnt waren. Deshalb wurde sie auch von ihnen gemieden, als wäre sie an einer ansteckenden Seuche erkrankt. Und wenn die anderen sich in einer Pause miteinander unterhielten, hörte sie, wie sie sich über sie das Maul zerrissen – woher sie ihr Wissen hatte, wo sie überhaupt herkam und was sie hier eigentlich zu suchen hatte. Es war eine überaus unangenehme Situation. Wahrscheinlich wäre sie noch zu ertragen gewesen, wenn sie nach der Arbeit in ihre eigene gemütliche Wohnung hätte zurückkehren können oder von Freunden oder liebevollen Verwandten erwartet worden wäre. Doch wenn sie mit dem von Tag zu Tag schweigsamer werdenden Juan nach Hause ging, wartete dort nur eine Kinderschar , die sich jubelnd auf ihren Vater stürzte. Die Einzige in Juans Haus, die von Anne Notiz zu nehmen schien, war seine Ehefrau Suzanna. Und die hätte sie mit ihren Blicken am liebsten erdolcht. Sie fühlte sich einsam in dieser Stadt. Sie war hier nicht willkommen, sie kannte niemanden, konnte nirgendwo hingehen und zurzeit nichts anderes tun als arbeiten , essen und schlafen. Sie sehnte sich nach Cosimo und Anselmo und nach der Hazienda. Gut, dort hatte
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