Die Feuer von Córdoba
sie sich zwar gelangweilt, während sie hier in Córdoba den ganzen Tag über beschäftigt war, aber in ihrer Gegenwart hatte sie sich zu keiner Zeit und an keinem Ort wie ein Fremdkörper gefühlt – weder in Florenz noch in Jerusalem und auch nicht hier auf Cosimos Hazienda. Die beiden hatten keine Vorurteile , aber vielleicht lag es auch daran, dass sie selbst Außenseiter waren. Sie gehörten schließlich ebenso wenig hierher wie sie.
Anne zupfte am Kragen ihres hochgeschlossenen Kleides, der viel zu eng war und ihr fast den Atem raubte, und beobachtete die anderen Schreiber, die von Minute zu Minute nervöser wurden. Es herrschte eine seltsame Atmosphäre in der Schreibstube, die doch für gewöhnlich ruhiger und beschaulicher war als so manche Kirche. Es war wie ein Fieber, das die Männer ergriffen hatte. Hochrote Flecken erschienen auf den Wangen einiger, während andere leichenblass waren und den Eindruck machten, als würden sie jeden Augenblick ohnmächtig zu Boden sinken. Es war eine Stimmung, als ob Madonna, Michael Jackson und die Beatles gleich zur Tür hereinspazieren würden, um vor einer Hand voll ausgewählter Fans ein gemeinsames Konzert zu geben.
Anne schüttelte verständnislos den Kopf. Sie hatte noch nie diese seltsame Form der Hysterie begriffen, diese kreischenden , heulenden, händereckenden Massen, zu denen sich Menschen beinahe jeden Alters zusammenrotteten, sobald sich ihnen jemand näherte, der auf irgendeine Art » prominent « war. Sie hätte jede Wette darauf abgeschlossen, dass dies allein ein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts war und sich die Menschen in anderen Epochen der Zeitgeschichte , zum Beispiel im Mittelalter, in vergleichbaren Situationen erwachsener verhalten hätten. Jetzt wurde sie eines Besseren belehrt. Der Mensch hatte sich offenbar im Laufe der Jahrhunderte nicht geändert. Die Schreiber waren verrückt geworden . Und das nur, weil das Gerücht die Runde gemacht hatte, dass Seine Majestät Kaiser Karl V. unter Umständen vorbeischauen wollte. »Unter Umständen«, das hieß so viel wie »wenn er nichts anderes zu tun hat« oder »falls er sowieso gerade vorbeikommt«. Es war eine vage Andeutung, eine Vermutung, nichts weiter.
Trotzdem hatten die meisten Männer gleich nachdem der Stadtrat verschwunden war Fernando Rodriguez um die Erlaubnis gebeten, nochmals nach Hause eilen zu dürfen, um ihre Kleidung zu wechseln. Er hatte sein Einverständnis gegeben , und achtzehn Männer waren förmlich in einer Staubwolke davongestoben, sodass Anne sich vorkam, als wäre sie mitten in einem Cartoon gelandet. Bereits kurz darauf war einer nach dem anderen wieder in seiner prächtigsten Kleidung erschienen. Statt der üblichen braunen oder grauen Alltagskleider trugen sie jetzt Jacken aus edlen Stoffen in grellen Farben, bunt bestickte Westen und farbenfrohe Beinkleider. Innerhalb weniger Minuten hatte sich die Schreibstube in einen Ort verwandelt, der Anne zunehmend an eine Voliere voller Exoten erinnerte. Oder an ein Tollhaus. Auf den Modenschauen , die sie aus beruflichen Gründen in der ganzen Welt besucht hatte, hatte sie schon viel Seltsames, Verrücktes und Außergewöhnliches gesehen, manchmal hart am Rande des guten Geschmacks, doch dies hier übertraf alles. Sie musste die Augen schließen, damit ihr nicht übel wurde. Die gewagten Farbkombinationen beleidigten jedes Stilempfinden . Nur Fernando Rodriguez trug immer noch denselben braunen Anzug, den er bisher jeden Tag getragen hatte.
Warum sagt niemand den Männern, dass sie sich idiotisch benehmen und sich in ihren knallbunten Aufzügen zum Hanswurst machen?, dachte Anne und spürte, wie auch sie sich der allgemeinen Nervosität allmählich nicht mehr entziehen konnte . Und das alles für einen Mann, den noch keiner von ihnen je persönlich zu Gesicht bekommen hatte. Der neben ihnen hätte stehen können, ohne dass sie ihn erkannt hätten. Ein Mann, für den sie jeden Tag stundenlang am Schreibpult standen, während er selbst ein Leben in Prunk führte und seine gebratenen Täubchen von goldenen Tellern aß.
In diesem Augenblick wurde die Tür von außen aufgerissen , und wie auf ein geheimes Kommando wandten sich zwanzig Köpfe dem kleinen Jungen zu, der verschwitzt und mit schief sitzender Kappe auf dem Kopf hereingestürmt kam. Wie angewurzelt blieb er auf der Schwelle stehen und starrte in die erwartungsvollen Gesichter. Es war still in dem Raum, so still, dass Anne beinahe überdeutlich den
Weitere Kostenlose Bücher