Die Feuer von Córdoba
unregelmäßigen Abständen, wie eine Mahnung, dass nichts auf dieser Welt sicher war. Warum hatte der Albtraum ihn ausgerechnet in dieser Nacht heimgesucht? War es etwa wegen dieser Señora Anne, die sich weigern wollte, zu dem Ketzerprozess zu gehen?
Er rieb sich die kalten Hände. Wenigstens die Fingerspitzen wurden allmählich warm, während er an das Gespräch mit der Schreiberin zurückdachte. Sie war eine kluge, gebildete Frau. Sie hatte ihren Mann auf furchtbare Weise verloren und gewiss im Laufe der vergangenen Jahre auf ihren Reisen durch Europa viel durchgemacht. Als sie ihn darum gebeten hatte, ihn bei den Prozessen nicht begleiten zu müssen , war sie aufrichtig gewesen. Aufrichtigkeit wünschte er sich von seinen Untertanen und Vertrauten. Sollte er sie nun wirklich dafür bestrafen, dass sie ihm die Wahrheit gesagt hatte? Sollte er sie wirklich zwingen, ihn zu dem Prozess zu begleiten? Zu einem Prozess, dem er selbst am liebsten ferngeblieben wäre, wenn er nur die Möglichkeit gehabt hätte? Auch ihn widerten diese Prozesse an. Und wenn er gekonnt hätte, würde er anstatt morgen in den Gerichtssaal zu gehen lieber den ganzen Tag mit der Falkenjagd verbringen. Wenn er die Wahl gehabt hätte, würde er sich jetzt vermutlich noch nicht einmal in Córdoba aufhalten, sondern immer noch in Toledo weilen und dort seinem geliebten Sohn Philipp zur Seite stehen. Aber er hatte keine Wahl.
Aha, dachte er und runzelte verärgert die Stirn, da kommen wir der Sache doch schon näher. Du beneidest diese Frau, diese Schreiberin und Witwe, tatsächlich um ihre Freiheit . Das macht dich hart, unerbittlich, ja, sogar ungerecht. Du verlangst nach Ehrlichkeit, und sobald einer deiner Untertanen deinen Wunsch erfüllt, das Ergebnis jedoch nicht deinen Vorstellungen entspricht, bist du beleidigt. Aber dieses kleinliche Gebaren ist eines gerechten Herrschers nicht würdig . Du solltest dich wirklich schämen.
Einen Augenblick starrte er noch in das Feuer, dann kehrte er dem Kamin den Rücken zu, zog sich rasch seinen Morgenrock über und begab sich in das Arbeitszimmer zum Schreibtisch . Hastig schrieb er ein paar Zeilen, dann faltete er das Pergament zusammen, versiegelte es und klingelte nach einem Diener.
Anne ging in ihrem Zimmer auf und ab. Den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht hatte sie gegrübelt, sich den Kopf zermartert, gebetet, auf ein Wunder gehofft und war dabei kreuz und quer durch ihr Zimmer gelaufen, doch nichts war geschehen. Kein rettender Geistesblitz hatte das Dunkel, das sich wie ein schweres Gewitter um sie herum zusammenzuziehen schien, erleuchtet.
Schon wieder eine Nacht, in der ich keinen Schlaf finde, dachte sie. Wenn das so weitergeht, werde ich in der kurzen Zeit hier noch um Jahrzehnte altern. Eine Textzeile aus einem Song der Doors spukte in ihrem Kopf herum, und sie hörte Jim Morrison singen: »You’re lost, little girl …«
Ja, da war etwas dran. Wenn ihr nicht bald einfiel, wie sie Giacomo aus dem Weg gehen konnte, war sie verloren. Dann brauchte sie sich um ihr Alter keine Sorgen mehr zu machen. Dann würde sie so jung sterben, wie sie jetzt war. Sollte sie sich vielleicht morgen einfach krank stellen? Nach dieser Nacht würde sie ohnehin aussehen wie eine Leiche. Aber würde Karl V. ihr das auch abkaufen? Er war so unerbittlich gewesen, so streng. Konnte sie auf Milde hoffen? Oder würde er sie selbst todkrank noch in den Gerichtssaal schleifen?
Es klopfte. Anne fuhr erschrocken herum und starrte die Zimmertür an, als würde dort jeden Moment der Scharfrichter mit seinem Beil erscheinen, um sie zur Strafe für ihren Ungehorsam hinzurichten. So früh?, schoss es ihr durch den Kopf. Wollte man sie etwa schon jetzt holen? Es war doch noch mitten in der Nacht. Sie war noch nicht so weit. Sie brauchte noch Zeit, sie …
»Señora?«
Ich sage nichts, ich bleibe einfach stumm. Wenn der da draußen glaubt, dass ich tief und fest schlafe, geht er vielleicht wieder. Zum Glück hatte sie die Tür von innen verriegelt . Man würde sie schon aufbrechen müssen, um zu ihr vorzudringen. Und ob der Kaiser das wirklich tun würde, wagte sie dann doch zu bezweifeln.
»Señora?« Es wurde wieder geklopft, diesmal schon lauter . »Señora? Öffnet!« Anne schloss die Augen.
Du kannst dem nicht entrinnen. Wenn der Lakai mit seinem Auftrag keinen Erfolg hat, wird ein anderer kommen. Und nach ihm wieder einer. Und früher oder später musst du diesen Raum verlassen. Wie du es auch anstellst,
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