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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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gingen sie den Weg wieder zurück. Doch bei der nächsten Zellentür blieb er stehen. Seine Neugierde war zu groß. Und was konnte schlimmer sein als das, was er soeben erlebt hatte? Er öffnete die Luke und sah hinein. In der Zelle saß er selbst, angekettet, mit wirren Haaren. Er warf seiner Tante einen Blick zu, und sie nickte stumm. Hatte sie es gewusst? Keuchend vor Entsetzen lief er zur nächsten Tür. Auch dort starrte ihm mit irrem Blick sein eigenes Gesicht entgegen. Und bei der nächsten wieder. Und wieder. Und wieder.
    Er rannte den ganzen Gang entlang und öffnete Luken, unzählige Luken, es wurden immer mehr, als hätte sich der Flur ausgedehnt, als wäre er länger geworden. Und hinter jeder einzelnen Luke sah er immer sich selbst. Schließlich hielt er das Entsetzen nicht mehr aus, es schien ihn von innen heraus auseinander reißen zu wollen, und er begann zu schreien . Er schrie und schrie, bis er glaubte an diesem Schrei ersticken zu müssen.
    Karl V. erwachte keuchend und setzte sich mit einem Ruck im Bett auf. Sein Nachtgewand war durchnässt, und das Haar klebte in feuchten Strähnen auf seiner Stirn. Mit zitternden Händen schob er die schwere Daunendecke zur Seite, die sich klamm anfühlte und ihm kalte Schauer über den Rücken jagte, als hätte sie während der Nacht in einem dunklen Pfuhl voller Wasserleichen gelegen.
    Karl V. erhob sich aus dem Bett, stieg in seine warmen, mit Fell ausgeschlagenen Pantoffeln und ging zum Kamin. Die Nacht konnte noch nicht weit fortgeschritten sein, denn das Feuer brannte immer noch lustig vor sich hin, und er spürte die wohlige Wärme. Aber er wusste, dass es lange dauern würde, bis die Wärme auch das von kaltem Schweiß durchtränkte Nachtgewand getrocknet und die eisige Grabeskälte vertrieben hatte, die als Folge dieses Nachtmahrs in seinen Knochen steckte.
    Fröstelnd ließ er sich auf die Knie sinken und streckte seine Hände dem Feuer entgegen. Sie zitterten immer noch von dem entsetzlichen Albtraum. Seit seiner Kindheit verfolgte er ihn in unregelmäßigen Abständen, meist dann, wenn irgendeine Entscheidung oder Handlung sein Gewissen belastete . Fast so schlimm wie der Traum selbst war der damit verbundene quälende Gedanke, dass er zumindest teilweise der Wahrheit entsprach.
    Johanna von Kastilien, das war seine Mutter. Und wenn es nach dem Willen seiner Tante Margarete gegangen wäre, hätte er wohl nie erfahren, dass seine Mutter auch den Beinamen »die Wahnsinnige« trug. Doch so umsichtig seine Tante auch gewesen sein mochte, sie konnte ihn nicht vor allem beschützen . Und als er im Alter von neun Jahren durch Zufall von der Geisteskrankheit seiner Mutter gehört hatte, war er so erschüttert gewesen, dass er beinahe selbst den Verstand verloren hätte. Schweren Herzens hatte Tante Margarete sich dazu entschlossen, ihn zu einem Besuch in die Anstalt mitzunehmen , in der seine Mutter lebte. Und so hatte er sie zum ersten Mal bewusst gesehen – dünn und ausgemergelt, weggesperrt in einer Zelle, damit sie weder sich selbst noch anderen Schaden zufügen konnte. Es war eine Anstalt ähnlich der in seinen Albträumen gewesen. Natürlich waren die Flure nicht so lang und düster gewesen. Und seine Mutter war auch nicht gewalttätig geworden. Im Gegenteil, sie hatte in ihrer Zelle auf dem Boden gekauert, mit stumpfem Gesichtsausdruck ihren Körper vor und zurück gewiegt und dazu eine Melodie gesummt, die nicht von dieser Welt zu kommen schien. Ihn, ihren Sohn, hatte sie nicht erkannt. Er konnte nicht einmal feststellen, ob sie ihn überhaupt bemerkte. Er erinnerte sich noch genau daran, wie Bilder seiner Mutter durch seinen Kopf gegangenen waren – Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, an Spiele, an Lieder, an eine fröhliche , lachende warme Frau, die ihn auf ihren Armen trug, die er geliebt hatte. Gleichzeitig hatte er beobachtet, wie Tante Margarete mit dieser dürren Gestalt gesprochen, ihr das Gesicht gestreichelt und das lange graue Haar gekämmt hatte. War diese fremde, schwachsinnige Frau, der nicht einmal ein Lächeln zu entlocken war, war das wirklich seine Mutter? Danach hatte er sich nächtelang mit Albträumen herumgeschlagen . Und bei Tag hatte ihn nur eine Frage beschäftigt. Sie ist deine Mutter – wirst du jetzt auch wahnsinnig?
    Er war ebenso wenig wahnsinnig geworden, wie sich der Zustand seiner Mutter im Laufe der Jahre, im Laufe ungezählter Besuche in der Anstalt gebessert hatte. Aber der Traum kam immer wieder. In

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