Die Feuer von Córdoba
er noch nicht abgelegt hatte, war das allmorgendliche Rasieren und sorgfältige Ankleiden – schließlich konnte Teresa unerwartet zu Besuch kommen, und er wollte ihr nicht wie ein Strauchdieb vor die Augen treten. Doch gewiss würde er sich bald auch dazu nicht mehr aufraffen können. Der Müßiggang war wie ein langsam wirkendes lähmendes Gift. Er konnte kaum noch denken. Irgendwann würde er nicht mehr gehen können. Dann musste er auf dieser Bank vor der Hazienda sitzen bleiben, bis er schließlich eines Tages auch zu faul wäre zu atmen.
Manchmal ertappte er sich dabei, wie er darüber nachdachte , einfach die Hazienda zu verlassen und nach Córdoba zu gehen. Nicht für immer natürlich. Nie und nimmer hätte er Cosimo im Stich gelassen. Nein, nur für einen Tag. Oder vielleicht zwei. Er sehnte sich nach dem Trubel der Stadt, den überfüllten Märkten, wo sich die Menschen so eng aneinander drängten, dass es ein Leichtes war, ihnen ihre prall gefüllten Geldbeutel aus den Taschen zu ziehen. Er sehnte sich nach dem Duft von Gewürzen, der Musik der Spielleute, dem Klang der Flöten und Trommeln, dem Anblick der Gaukler in ihren bunten Kostümen. Fast sein ganzes Leben hatte er in Städten verbracht. Dieses beschauliche, geruhsame Leben auf dem Land war nichts für ihn. Die klare reine Luft schmeckte nach Gras, nach Kräutern, nach Mist und Pferden – flüchtig und dünn wie eine etwas zu wässrig geratene Suppe. Sie machte ihn nicht satt. Und sie konnte sich nicht mit der Stadtluft vergleichen, die schwer war von den menschlichen Ausdünstungen und den Düften aus zahlreichen Küchen, die sich mit den Dämpfen der Waschhäuser, Seifensieder und Gerber in den engen Straßen zu einem dicken Duftbrei mischten. Ja, er würde einfach in die Stadt gehen, Menschen sehen, Märkte besuchen. Vielleicht einem Händler ein Säckchen Safran oder einem Edelmann die Geldbörse stehlen, wieder einmal dieses erregende, prickelnde Gefühl der Gefahr genießen und dabei spüren, dass er lebte. Cosimo war nicht da, Pferde und Geflügel sorgten für sich selbst, und die Hazienda lief nicht weg. Was sollte schon passieren, wer sollte ihn vermissen?
Doch jedes Mal, wenn er daran dachte, fortzugehen, hatte schließlich sein Pflichtgefühl gesiegt, und er war geblieben. Wenigstens bis jetzt.
Anselmo stöhnte träge und schob sich den Hut ins Gesicht , sodass ihn die Sonnenstrahlen nicht mehr blenden konnten. Wenn nicht Bartolomé und seine Leute gewesen wären, die auf einer der abgelegenen Weiden ihr Lager aufgeschlagen hatten und ihn in unregelmäßigen Abständen besuchten , er wäre wahrscheinlich schon längst gestorben – erstickt an Langeweile und Überdruss.
Er döste ein und träumte von wild dahingaloppierenden Zigeunern. Es waren mehrere Männer und Frauen, vielleicht ein halbes Dutzend. Seltsam war nur, dass eine der Frauen in geradezu verblüffender Art Teresa glich. Und sie hatte auch Teresas Stimme. Sie rief seinen Namen wieder und wieder , während sie über den Hof galoppierte. Immer wieder rief sie …
»Anselmo! Anselmo!«
Jemand packte seinen Arm. Anselmo fuhr erschrocken auf und fiel von der Bank.
»So ein Faulpelz! Schläft am helllichten Tag. Nun mach schon, steh auf!«
Anselmo blinzelte gegen das blendende Sonnenlicht an. Tatsächlich, vor ihm stand Teresa mit in die Hüften gestemmten Armen und lachte über das ganze Gesicht. Erst allmählich begriff Anselmo, dass sie ihn auslachte. Er runzelte die Stirn.
»Ich muss wohl etwas eingenickt sein«, sagte er und rappelte sich mühsam auf. »Die Erschöpfung hat mich einfach übermannt und …«
Teresa lachte jetzt laut und herzhaft, und er gab es auf, sich zu rechtfertigen. Mochte sie doch von ihm denken, was sie wollte.
»Was tust du hier?«, fragte er, während er den Staub von seinen Kleidern klopfte. Dass seine Stimme dabei ungewöhnlich barsch klang, schien Teresa nicht zu stören.
»Es ist Samstag, mein Lieber«, sagte sie mit einem breiten Lächeln. »Und wie jeden Samstag bringe ich dir Brot, Milch, Käse und frische Kräuter.« Sie deutete auf ein großes Bündel zu ihren Füßen. »Mit einem besonders herzlichen Gruß von Mutter Maddalena an deinen Vater.«
»Der ist nicht da«, brummte Anselmo. Er war immer noch verstimmt, aber Teresas Anblick und der verlockende Duft von Mutter Maddalenas köstlichen Brotlaiben besänftigten ihn. Er hob das in grobes Tuch eingeschlagene Bündel vom Boden auf und warf es sich über die Schulter.
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