Die Feuer von Córdoba
Hausarrest. Sie durfte den Bischofspalast nicht verlassen – der Kaiser hatte es ihr ausdrücklich verboten. Und so, wie er sich zum Schluss ihr gegenüber verhalten hatte, würde er bestimmt einen Wachposten vor ihre Schlafzimmertür stellen. Da sie aber noch niemanden im Bischofspalast so gut kannte, dass sie ihm vertrauen konnte, war es ihr noch nicht einmal möglich, Bartolomé einen Brief zu schicken. Welche Mittel und Wege blieben ihr noch? Sie konnte sich morgen verkleiden, sich schminken oder sich verschleiern, sodass Giacomo sie nicht erkennen würde. Aber wie sollte sie dem Kaiser eine solche Maskerade erklären? Sie selbst hatte ihm schließlich noch vor wenigen Augenblicken gesagt, weshalb sie den Witwenschleier ablehnte. Wie sie es auch drehte und wendete, es schien keinen Ausweg zu geben. Karl V. würde sie zu diesem Prozess mitnehmen, und wenn er sie an den Haaren hinter sich herschleifen musste. Es war sein Wille, und so sollte es auch geschehen . Und dann würde sie unweigerlich Giacomo begegnen . Giacomo de Pazzi, dem Mörder von Giuliano de Medici, von Rashid und zahllosen weiteren Menschen. Und es würden noch viel mehr werden.
Es ist noch nicht einmal Mittag, dachte Anne und sah einen Jungen mit weißer Mütze und Schürze, der einen Korb voller goldgelber Brote trug. Sie waren offenbar ganz frisch, denn sie dampften noch, und im Vorbeigehen stieg ihr der köstliche Brotduft in die Nase. Nein, es war noch nicht Mittag . Die Glocken der Kathedrale, die sich neben dem Bischofspalast befand, hatten noch nicht geläutet, und die Brote wurden bestimmt in der Küche für das Mittagsmahl von Kaiser und Bischof gebraucht. Sie hatte noch etwas Zeit – sechzehn , zwanzig, mit ein bisschen Glück sogar vierundzwanzig Stunden. In dieser Zeit konnte eine Menge geschehen.
Alles, dachte Anne, alles was ich brauche, ist ein Wunder.
Du bist verloren, Mädchen
Karl V. war auf dem Weg, seine Mutter zu besuchen. Gemeinsam mit seiner Tante Margarete und einem der Aufseher folgte er dem langen, von einigen Fackeln erleuchteten Gang. Sie gingen vorbei an ungezählten Türen, die mit dutzenden von Riegeln und Schlössern versperrt waren, damit auch wirklich keiner der Insassen seine Zelle je wieder aus eigener Kraft verlassen konnte. Aus diesen Zellen drangen vielfältige Geräusche – qualvolles Stöhnen, animalisches Grunzen, hysterisches Gelächter und menschliche Stimmen. Viele Stimmen , die miteinander zu reden schienen, zum Teil in Sprachen , die gewiss in keinem Land der Welt gesprochen wurden . Die Neugierde und die Faszination des Schrecklichen trieben ihn, wenigstens eine dieser kleinen Luken, die sich in der Mitte jeder Tür befanden, zu öffnen, um zu sehen, wer oder was sich dahinter verbarg. Dann wieder wurde seine Angst vor den gespenstischen Lauten so groß, dass er sich eng an seine Tante klammerte. Schließlich kamen sie an die letzte Zellentür. Sie war verschlossen, als würde dahinter ein feuerspeiender Drache hausen, und jemand hatte offenbar zum Schutz gegen das Böse mit weißer Kreide Kreuze darauf gemalt . Der Aufseher öffnete die Tür, und er betrat die dunkle Zelle. Aus einem kleinen Loch in der Wand fast in Deckenhöhe kam ein einziger dünner Sonnenstrahl und erhellte eine magere, in ein langes Hemd gekleidete Gestalt.
Seine Mutter.
Das graue Haar hing ihr in langen dünnen Strähnen vom Kopf, der eher einem Totenschädel denn dem Kopf eines lebenden Menschen glich. Sie stand regungslos da und sonnte sich in dem Licht. Sie schien ihn nicht zu bemerken, und er wollte bereits wieder gehen, als ihm auffiel, dass er allein mit seiner Mutter war. Ein entsetztes Keuchen entrang sich seiner Brust, und im selben Augenblick kam Leben in die dürre Gestalt . Mit ausgestreckten Händen und einem Schrei, der kaum noch etwas Menschliches hatte, stürzte sie sich auf ihn. Sie zog ihn an den Haaren, riss an seinen Kleidern, versuchte ihm ihre Hände um den Hals zu legen und ihm in die Kehle und das Gesicht zu beißen. Er schrie und hämmerte gegen das Holz der Tür, bis sie endlich aufgerissen wurde, zwei starke Arme ihn packten und ihn wieder in den Gang zogen. Dumpf schlug die Zellentür hinter ihm zu, und seine Tante streichelte ihm über den Kopf. Sie sah traurig aus, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie sagte etwas, aber er konnte es nicht hören. In seinen Ohren rauschte es, als würde er an der Küste stehen , an der die Wellen des Meeres gegen steile, schroffe Felsen brandeten. Dann
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