Die Feuer von Córdoba
wahnsinnig , oder sie sagte die Wahrheit. »Ihr glaubt, Ihr dient dem Herrn. Tatsächlich aber dient Ihr dem Teufel, Pater. Und ich sage Euch, wenn Ihr nicht bald auf diesem Pfad umkehrt, wird er Euch mit ins Verderben reißen.«
Eigentlich wollte Stefano aufspringen, gegen das Holz schlagen und dieses Weib mit seinen verleumderischen Reden an den Haaren aus dem Beichtstuhl zerren, doch er konnte sich nicht rühren. Wie gelähmt blieb er auf dem Stuhl sitzen, und langsam kroch eine eisige Kälte seine Wirbelsäule hinauf, bis sich seine Nackenhaare sträubten.
»Weib, du bist von Sinnen«, war alles, was er hervorbrachte . Und selbst diese Worte klangen schwach und kraftlos.
»Es ist nur eine Frage des Lichts, Pater. Man hat Euch all die Jahre in Dunkelheit gelassen. Aber bald werdet Ihr einer Frau begegnen, einer Frau, die Ihr schon einmal gesehen habt – vor einigen Jahren, in der Heiligen Stadt.«
»Jerusalem?«, keuchte Stefano und fragte sich, woher diese seltsame fremde Frau überhaupt wissen konnte, dass er in Jerusalem gewesen war. Weder er noch Pater Giacomo hatten mit jemandem in Córdoba darüber gesprochen. Dieses Weib war bestimmt verrückt, ja, gewiss, anders konnte es gar nicht sein. »Aber woher …«
»Sie ist Euch gefolgt, Pater. Oder besser gesagt, sie ist ihm gefolgt, dem Mörder, an dessen Händen das Blut unzähliger Menschen klebt. Hört sie an, wenn sie Euch begegnet. Sie wird das Dunkel erhellen. Sie wird Euch die Augen für die Wahrheit öffnen, denn sie liebt Euch.«
»Sie liebt mich? Warum?«
»Weil sie Eure Mutter ist, Pater.« Die Frau schien zu lächeln , zumindest klang ihre Stimme danach.
Stefano schluckte. In seinem Kopf schien sich alles zu drehen.
»Mein … meine … was?«, stieß er hervor. »Das kann nicht sein. Selbst wenn meine Mutter noch leben würde … Ich selbst bin sechsundsechzig Jahre alt. Sie müsste heute eine Greisin sein! Sie wäre wohl kaum mehr in der Lage, die Strapazen einer Reise von Jerusalem nach Córdoba auf sich zu nehmen.«
»Ich weiß, Pater Stefano«, erwiderte sie sanft, »aber habt Ihr jemals Euer Antlitz im Spiegel betrachtet? Ihr seht selbst aus wie ein Jüngling. Ebenso wie der Inquisitor, der Euch zu dieser ewigen Jugend verhalf …«
»Das war nicht Pater Giacomo!«, stieß Stefano hervor. »Das ist eine Gnade Gottes! Pater Giacomo ist im Besitz des heiligen Blutes unseres Herrn Jesus Christus, und ich durfte vor einigen Jahren davon trinken. Das ist der einzige Grund für meine Jugend und …«
»In dieser Flasche befindet sich nicht das Blut des Herrn, Pater«, unterbrach sie ihn diesmal scharf. »Das ist eine der schlimmsten Lügen, die er Euch erzählt hat, denn in Wahrheit handelt es sich um einen Zaubertrank, einen Trank, der gefährlich ist, weil er Eure Seele vergiftet.«
»Das … ist … nicht … wahr!« Die Erde schien unter Stefanos Füßen zu beben, und der Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er wollte aufbegehren, er wollte Pater Giacomo und die kostbare Reliquie verteidigen – aber er konnte nicht. Er war wie gelähmt. Und wieder hörte er die zornigen Worte der überirdischen Stimme – »… Warum beschmutzt ihr Seinen Namen, indem ihr euch zu Mördern macht?…«
»Natürlich will er Euch etwas anderes glauben machen, denn er braucht Euch. Allein kann er sein teuflisches Werk nicht vollbringen. Aber Eure Mutter wird Euch die Wahrheit erklären. Hört sie an, Pater Stefano!«
»Nein, nein, nein! Du redest wirres Zeug, Weib. Nie und nimmer werde ich …«
»Ich kann Euch nicht zwingen, den Weg des Verderbens zu verlassen, Pater Stefano«, sagte die Frau. »Aber ich würde es bedauern, denn Gott hat etwas anderes mit Euch vor. Deshalb kam ich, um Euch zu warnen. Noch seid Ihr nicht verloren . Kehrt um und dient dem Herrn! Wenn er Euch das nächste Mal anbietet, von dem ›Blut Christi‹, wie er es nennt, zu trinken, so lehnt ab. Um Eurer unsterblichen Seele willen. Und jetzt muss ich gehen.«
Er hörte Kleider rascheln, als sie sich erhob.
»Und woher willst du das alles überhaupt wissen, he?«, rief er aus, doch sie hatte den Beichtstuhl bereits verlassen. Er stieß die Tür auf, stürzte aus der kleinen engen Kabine hinaus, wobei seine Albe an der Armlehne hängen blieb. Mit lautem Getöse und Gepolter fiel der Stuhl hinter ihm zu Boden. Es hätte nicht viel gefehlt, und er selbst wäre ebenfalls gestürzt. Heftig atmend rannte er durch die fast menschenleere Kirche. Eines der alten Weiber, die jeden
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