Die Feuer von Córdoba
an seiner Stelle den Beichtstuhl zu besetzen. Viel zu tun gab es allerdings nicht. In den letzten Wochen waren immer weniger Gläubige zur Messe nach San Tomás gekommen, und nun blieben allmählich auch die Bettler weg. Die Gerüchte um die kleine Kirche hatten sich in der Stadt weiter ausgebreitet, und auch Stefano fühlte, dass die Atmosphäre hier immer unheilvoller wurde. Die Kerker unterhalb der Kirche waren angefüllt mit Männern und Frauen, die nach allen Regeln der Kunst verhört wurden. Viele behaupteten, die Schmerzens- und Verzweiflungsschreie seien Tag und Nacht in den Straßen um San Tomás zu hören. Pater Giacomo hielt dieses Gerede für die üblichen Übertreibungen, die klatschsüchtige Weiber so liebten. Die Kerker lagen tief unter der Erde, ihre Mauern waren dick, die Luftschächte klein. Wie sollten da die Schreie der Gefangenen an die Erdoberfläche dringen? Doch auch er hatte zugeben müssen, dass er mindestens einmal während der Messe ein deutliches Stöhnen vernommen hatte, das keiner der Gläubigen aus dem Kirchenschiff ausgestoßen haben konnte und das Stefano Schauer über den Rücken gejagt hatte. Seither wurden aufgrund einer Anordnung von Pater Giacomo die Gefangenen während der Verhöre geknebelt.
Stefano zog die Albe an, legte sich eine grüne Stola um und verließ die Sakristei. Er kniete kurz vor dem Allerheiligsten nieder und bekreuzigte sich, dann stieg er die Stufen zum Kirchenschiff hinab. San Tomás war leer und dunkel. Nur ein paar Kerzen vor der Statue der Muttergottes spendeten ein wenig Licht. Und doch war es bei weitem nicht so unheimlich wie sonst, wenn sie mitten in der Nacht hierher kamen, um mit einem Verhör zu beginnen. Schon bald würden die ersten Sonnenstrahlen durch die hohen Glasfenster fallen und alles in ein freundlicheres Licht tauchen. Stefano gähnte erneut und ging zu dem Beichtstuhl. Er zog den Vorhang zurück, sodass ein bußwilliger Gläubiger mit einem Blick erkennen konnte, dass der Beichtstuhl frei war, dann öffnete er die schmale Tür und nahm auf dem Stuhl des Priesters Platz. Er gähnte wieder, diesmal so stark, dass er glaubte, sein Kiefer würde ausrenken. Wann war das Ganze wohl endlich vorbei? Wann würde er wieder Ruhe und Frieden finden, schlafen und regelmäßig und voller Andacht seine Gebete sprechen können?
Stefano stützte seinen Ellbogen auf die Armlehne des Stuhls und rieb sich die Stirn. Kein Laut war zu vernehmen. Es war so still in der Kirche, dass er glaubte das Flackern der Kerzen vor der Muttergottes hören zu können. Um wach zu bleiben, begann er ein Vaterunser zu sprechen. Doch er war so müde, dass er sich an die Worte des Gebets kaum erinnern konnte und sie durcheinander brachte. Immer wieder musste er von vorne beginnen, immer wieder fielen ihm die Augen zu. Schlafen , schlafen, einfach nur schlafen. Ein Bett und zehn Stunden Schlaf, mehr begehrte er nicht.
Wenn jetzt der Teufel käme, er hätte wahrlich ein leichtes Spiel mit dir, dachte Stefano und lehnte seinen Kopf gegen die kühle glatte Holzwand der kleinen Kabine. Er gähnte noch ein letztes Mal, dann war er eingeschlafen.
Mit einem Ruck wachte Stefano auf. Er saß immer noch im Beichtstuhl, seinen Kopf gegen die hölzerne Wand gelehnt, seinen Ellbogen auf der Armlehne aufgestützt. Hastig wischte er sich den Speichel ab, der ihm vom Mundwinkel über das Kinn lief wie einem sabbernden greisen Bettler. Sein Nacken fühlte sich steif und verkrampft an, und tausende kleiner Nadeln stachen auf die Haut seines Arms ein. Er konnte es kaum fassen, dass er wirklich im Beichtstuhl eingeschlafen war, sozusagen mitten in seinem Dienst für Gott und die Gläubigen. Tief und traumlos hatte er geschlafen, bis … Ja, was hatte ihn eigentlich geweckt? Waren es die Glocken gewesen, die zur Messe läuteten? Oder was sonst? Der Schreck durchfuhr ihn, als er daran dachte, dass er möglicherweise die ganze Frühmesse verschlafen hatte. Aber hätte Pater Giacomo ihn dann nicht geweckt und aus dem Beichtstuhl gezerrt? Er wusste doch, wo er zu finden war, er selbst hatte ihn schließlich in den Beichtstuhl befohlen. Und wenn Pater Giacomo andere Pflichten zu erfüllen und keine Zeit gefunden hatte, zur Messe zu kommen? Dann hatten die Gläubigen – so wenig es auch gewesen sein mochten – umsonst in der stillen, einsamen Kirche ausgeharrt und auf einen Priester gewartet, der selig im Beichtstuhl vor sich hin schlummerte. Stefano spürte, dass ihm die Schamesröte ins
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