Die Feuer von Córdoba
überhaupt noch genug Kraft dafür gelassen hat.« Er wandte sich zu Anne um und betrachtete sie besorgt. »Ihr seid bleich wie der Tod, Señora Anne. Ich hoffe, dass meine rüde Art Euer zartes Gemüt nicht in Aufruhr versetzt hat.«
Anne lächelte gequält. Er war so aufrichtig und ehrlich, aber gleichzeitig auch so altmodisch, so wie man sich in Geschichten oder Filmen einen edlen Ritter vorstellte. Bestimmt würde er ihr gleich seinen Arm reichen, sie zu einem Stuhl führen und einen Diener rufen, damit man ihr Wasser zur Erfrischung bringe. Doch das war es nicht, was sie jetzt brauchte. Im Gegenteil, sie musste raus aus dem Bischofspalast . Sie musste in den Gassen Córdobas nach Bartolomé suchen und mit ihm sprechen. Der Zigeuner musste unbedingt so schnell wie möglich zur Hazienda reiten, um Cosimo und Anselmo zu warnen. Denn wenn Giacomo bereits wusste, dass ein Pferdezüchter der geheimnisvolle Fluchthelfer war, kannte er vielleicht auch schon ihren Aufenthaltsort. Und dann war es nur eine Frage von Tagen, bis er die Hazienda von Cosimo mit seiner Miliz überfallen würde.
»Sire, das ist es nicht, keineswegs. Es hat mich noch nie erschüttert, jemanden die Dinge beim Namen nennen zu hören . Und nichts anderes habt Ihr getan. Dieser Mann, der Inquisitor, ist wahnsinnig, davon bin ich fest überzeugt. Doch eben das bereitet mir Sorgen. Ich fürchte um meine Familie, die außerhalb der Stadt auf einer Hazienda lebt. Sie züchten Pferde wie gewiss viele in der Umgebung von Córdoba. Mein Vetter und sein Sohn sind edle, gebildete Menschen, sie haben nur einen schwerwiegenden Fehler – Engstirnigkeit und Fanatismus bringen sie zur Raserei. Angesichts des Inquisitors und seiner übereifrigen Schergen jedoch könnte das, wie Ihr wohl wisst, tödliche Folgen haben.« Sie atmete schwer. Ihr Herz klopfte bis zum Hals.
»Den Pferdezüchter, der es wagt, der Inquisition die Stirn zu bieten und zahlreiche unschuldige Menschen vor einem sinnlosen Tod zu bewahren, würde ich gern kennen lernen. Ich würde ihn augenblicklich in den Adelsstand erheben.« Karl V. knirschte mit den Zähnen und starrte wieder hinaus. »Natürlich würde ich das nicht tun. Ich habe nicht genug Mut. Im Gegensatz zu diesem Pferdezüchter ist der Kaiser ein Feigling, der vor einem Wahnsinnigen den Schwanz einzieht wie ein geprügelter Hund, nur weil er die Insignien der Inquisition trägt.« Er schüttelte resigniert den Kopf. »Es ist so unwürdig .«
Anne konnte kaum noch atmen. Der Boden schien ihr unter den Füßen zu brennen. Sie wollte, nein, sie musste zu Bartolomé. So bald wie möglich. Sie hatte keine Zeit zu verlieren.
»Sire, bitte, ich …«
Karl V. wandte sich wieder ihr zu. Er sah sie einen Augenblick prüfend an, dann nickte er. »Selbstverständlich erteile ich Euch die Erlaubnis, Euch zu entfernen, um Eure Familie zu warnen«, sagte er, noch bevor sie ihre Bitte aussprechen konnte. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass er ihre Gedanken zu lesen vermochte. Dann trat er auf sie zu, lächelte, ergriff ihre Hände und drückte sie herzlich. »Richtet Eurem Vetter meine wohlgemeinten Grüße aus. Ich habe für seine Abneigung vollstes Verständnis. Unglücklicherweise ist es mir in meiner Stellung nicht gestattet, meinen Gefühlen ebenso freien Lauf zu lassen. Ich beneide ihn – um mehr als das. Möge Eure Warnung ihn noch rechtzeitig erreichen.«
»Majestät, ich danke Euch von ganzem Herzen«, sagte Anne. Sie setzte zu einem Hofknicks an, doch Karl V. hielt sie davon ab.
»Ich sagte Euch schon einmal, dass Ihr diese Demutsbezeugungen bleiben lassen sollt. Ihr seid ein freies Weib, in dessen schönem Kopf Gedanken wohnen, mit deren Brillanz sich mancher meiner sonstigen Berater kaum messen kann. Eine solch unterwürfige Haltung ist Euer wahrlich nicht würdig.«
Er sah ihr so tief und voller Wärme in die Augen, dass Anne glaubte, er würde sich jeden Moment zu ihr herabbeugen , um sie zu küssen. Die Luft zwischen ihnen schien geradezu vor Spannung zu knistern. Doch bevor irgendetwas geschah, senkte Karl V. den Blick und richtete ihn auf ihre Hände. Er drehte ihre Handflächen nach oben, als könnte er daraus die Zukunft lesen, strich einmal mit beiden Daumen zart darüber, dann drückte er ihre Hände und ließ sie los.
»Ich wünsche Euch von ganzem Herzen Glück. Und nun eilt, Señora. Die Gedanken eines Wahnsinnigen sind unberechenbar . Vielleicht durchstreifen seine Häscher sogar bereits die Umgebung der
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