Die Feuer von Córdoba
Morgen kamen, warf ihm einen verwunderten Blick zu, eine kleine schmale Frau mit dem schwarzen Witwenschleier verließ die Kirche. Er achtete kaum darauf. Er suchte nach dieser geheimnisvollen Frau, doch sie war nirgendwo zu sehen. Sie schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein.
Heftig atmend blieb Stefano stehen. Ihm war kalt und gleichzeitig heiß. Verwirrung und Wut lösten einander in rascher Folge ab, sodass ihm fast schwindlig wurde. Was hatte die Fremde erzählt? Hatte sie wirklich behauptet, er würde bald seine Mutter treffen? Und hatte sie tatsächlich gesagt, dass es sich bei dem heiligen Blut Christi, das Pater Giacomo in einer kostbaren Flasche aus geschliffenem Kristall aufbewahrte , in Wahrheit um ein Gift handelte? Und dass Pater Giacomo selbst … dass er … Das war unmöglich! Er musste geträumt haben. Ja, so musste es gewesen sein. Er war im Beichtstuhl eingeschlafen, und alles – die Frau, ihre Warnung, ihre wüsten Anschuldigungen – war nichts als ein wirrer Traum. Es war …
»Stefano, mein Sohn!«
Eine Hand auf der Schulter ließ ihn erschrocken herumfahren . Vor ihm stand Pater Giacomo. Er lächelte freundlich, milde, genau wie immer. Und doch, wenn er genau hinsah – war da nicht im Licht der Sonnenstrahlen, die durch die Fenster der Kirche fielen, so ein seltsames listiges Funkeln in den Tiefen seiner braunen Augen? Nein, Unsinn. Diese Frau hatte ihm mit ihren wirren Reden offenbar den Verstand verdreht.
»Die Glocken werden jeden Moment zu läuten beginnen. Wir müssen uns auf die Messe vorbereiten. Du hast die Beichte gehört, mein Sohn?«
Stefano runzelte die Stirn und sah sich nochmals in der Kirche um. Keine Spur von der seltsamen Fremden mit der schönen Stimme.
Also habe ich wohl wirklich geträumt, dachte er. Doch überzeugt war er nicht davon. Alles war zu real gewesen. Jetzt, da er über diese Frau nachdachte, nahm er sogar ihren Geruch wahr – den schwachen Duft von verschiedenen Kräutern.
»Wollten heute viele Gläubige ihre Beichte ablegen?«
»Nein, Pater Giacomo, es waren nicht viele.«
»Nun, das macht nichts«, sagte Pater Giacomo. Seine Stimme klang fast fröhlich, und er legte Stefano einen Arm um die Schultern. »Komm in die Sakristei, mein Sohn, damit wir die Messgewänder anlegen können. Außerdem habe ich dir noch etwas mitzuteilen. Es gibt Neuigkeiten. Sehr gute Neuigkeiten sogar.«
Reiter auf dem Sturm
»Das kann doch wohl nicht wahr sein!«, rief Karl V. aufgebracht . »Das glaube ich nicht!«
Er hielt einen Brief in der Hand, der ihm vor wenigen Augenblicken von einem Boten gebracht worden war. In blutrotes Wachs gedrückt, trug das Schreiben das Siegel der Inquisition – ein Kreuz mit den Buchstaben MeJ darunter. Misericordia et Justitia – Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. So viel hatte Anne erkennen können, als sie dem Boten den Brief abgenommen hatte, um ihn dem Kaiser zu reichen.
Karl V. wedelte mit dem Schreiben in der Luft herum.
»Bei Gott, dem Allmächtigen, ich verstehe nicht, aus welchem Grunde …«
Anne räusperte sich. »Sire!«, unterbrach sie den Kaiser und warf ihm dabei einen eindringlichen, warnenden Blick zu. Wenn sie allein waren, sprachen sie ausschließlich Deutsch miteinander. Doch wenn andere sie hören konnten, bedienten sie sich des Spanischen. So auch jetzt. »Ich bitte vielmals um Vergebung, aber der Bote wartet. Wollt Ihr rasch eine Antwort diktieren, oder soll ich ihn entlassen?«
Karl V. runzelte die Stirn und nickte schließlich. »Ja, entlasst ihn. Dieser Brief bedarf keiner Antwort.«
Anne knickste und wandte sich dann an den Boten, der mit vor Neugierde weit aufgerissenen, hervorquellenden Augen den Kaiser anstarrte, als hätte er ein Wesen wie ihn noch nie zuvor gesehen.
»Du hast es gehört, Bursche, du bist entlassen«, sagte sie. Und sie zwang sich, noch hinzuzufügen: »Richte Seiner Exzellenz Pater Giacomo, dem Inquisitor von Córdoba, die besten Grüße Seiner Majestät Kaiser Karl V. aus. Seine Majestät wird sich zur gegebenen Zeit an Seine Exzellenz wenden.«
Der Bote verneigte sich und verschwand. Anne lief ein Schauer über den Rücken. Alle Leute, die in irgendeiner Form mit der Inquisition zu tun hatten, bereiteten ihr Unbehagen. Jeder von ihnen schien nur begierig darauf zu warten, dass jemand in seiner Umgebung eine Tat beging oder etwas sagte, das eine Anklage rechtfertigte. Sie waren Speichellecker, die nichts anderes wollten, als dem Inquisitor zu gefallen. Und wenn es ihnen
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