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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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ein Recht, über seinen Lehrer und Mentor zu richten, wo ihm doch überall genügend Zeichen begegnet waren, die ihn zur Umkehr riefen?
    Aber vielleicht war es noch nicht zu spät. Wenigstens würde er von jetzt an dafür sorgen, dass all jene bedauernswerten Männer und Frauen, die noch in den Kerkern der Inquisition gefangen gehalten wurden, ihre Freiheit, ihren Besitz, vor allem aber ihre Ehre zurückerhielten. Das an ihnen begangene Unrecht konnte er dadurch natürlich nicht ungeschehen machen, doch er konnte Leiden lindern. Und wenn das auch nicht viel war angesichts des großen Berges Schuld, den er im Laufe der Jahre angehäuft hatte, so war es doch zumindest ein Anfang. Trotzdem fand er in diesen Gedanken keinen Trost. Und manchmal wünschte er sogar, er hätte nie von dem Tagebuch gehört.
    Stefano hatte gerade die Entlassungsschrift für den letzten Angeklagten verfasst, als Pater Giacomo eintrat. Seine Kutte war staubig und zerrissen, er sah müde aus, erschöpft wie der hundertjährige Greis, der er in Wahrheit war. Auch diese ewige Jugend war offenbar eine der zahlreichen Wirkungen des Elixiers. Würde das Gegenmittel Pater Giacomo in wenigen Augenblicken altern lassen? Würde er dabei Schmerzen haben ? Stefano wollte nicht daran denken. Nicht jetzt.
    »Der Friede sei mit Euch, Pater Giacomo«, sagte er und zwang sich zu einem Lächeln. Doch die kleine Flasche mit dem grün schimmernden Drachenöl, die sich in einem Lederbeutel an seinem als Gürtel dienenden Strick befand, schien ihm ein Loch in die Kutte zu brennen.
    »Und mit dir, Stefano, und mit dir«, erwiderte Pater Giacomo und ließ sich stöhnend auf einen Lehnstuhl fallen.
    »Wart Ihr erfolgreich, Pater?«, fragte Stefano und legte die Akten in eine der Schubladen seines Schreibtischs. Später würde er sich weiter darum kümmern. Wenn alles vorbei war. Das wird mein Testament, dachte er. Mein letzter Wille.
    Pater Giacomo schüttelte den Kopf. »Nein, das war ich nicht«, sagte er und sah Stefano an. Diesem wurde kalt, als er den blanken Hass in den blutunterlaufenen Augen funkeln sah. Und er fragte sich, ob Pater Giacomo vielleicht schon die Grenze zwischen Gut und Böse überschritten und die Seiten gewechselt hatte. »Ich werde es morgen noch einmal versuchen , Stefano. Morgen. Vielleicht reite ich gleich nach der Frühmesse wieder zur Hazienda, mal sehen. Ich muss ihn finden . Ich muss einfach. Er ist da, ich weiß es. Ich kann ihn riechen, ich kann ihn fühlen. Und ich werde …«
    »Verschiebt diese Gedanken auf morgen früh, Pater«, unterbrach ihn Stefano. Er konnte diese hasserfüllten Worte nicht mehr ertragen, die nichts als Tod, Verwesung und die ewige Verdammnis in sich zu bergen schienen. »Jetzt solltet Ihr erst etwas essen und Euch dann zur Ruhe begeben. Ihr seht müde und hungrig aus.«
    »Ja, in der Tat, mein Sohn, in der Tat«, sagte Pater Giacomo leise und rieb sich die Stirn. Dann lächelte er Stefano an, als wäre nichts gewesen. »Bist du so freundlich, mir etwas zu essen zu holen? Ein einfaches stärkendes Mahl, kein Fleisch. Ich fürchte, mein Magen würde es nicht bei sich behalten.«
    Stefano schluckte und begann zu zittern. Das war die Gelegenheit . Sollte er wirklich jetzt …
    »Ja, Pater, ich werde gleich in die Küche gehen.«
    Er erhob sich und ging zur Tür.
    »Stefano, welches Datum haben wir heute?«
    Dieser blieb stehen und wandte sich um. »Heute ist der 16. Juni, Pater. Morgen ist der 17.«
    »Seltsam«, sagte Pater Giacomo zu sich selbst und schüttelte den Kopf, »keine Nachrichten mehr. Ich habe immer Nachrichten bekommen, doch keine von jenseits des 17. Juni. Woran kann das nur liegen? Was ist da passiert?«
    Diese Frage könnte ich Euch beantworten, Pater, dachte Stefano und schloss behutsam die Tür hinter sich. Er ging in die Küche. Eigenhändig bereitete er eine Grütze zu, vermischte sie mit Erbsenbrei und Kräutern, damit die Speise bereits eine natürliche grüne Farbe hatte. Seine Hand zitterte , als er die kleine Flasche entkorkte, und beinahe hätte er ihren ganzen Inhalt verschüttet, anstatt ihn über dem Essen zu verteilen. Noch einmal vermischte er alles. Dann stand er regungslos vor der dampfenden Schüssel und starrte die grüne appetitlich duftende Grütze an. Sollte er es wirklich tun? Sollte er Pater Giacomo dieses vergiftete Essen geben ? Wenn er nun leiden musste? Wenn der Tod nicht ruhig, sanft und schnell, sondern mit entsetzlichen Qualen und furchtbarer Angst kam und sich

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