Die Feuer von Córdoba
war jedenfalls nicht das, wonach er suchte, und es ging ihn auch nichts an. Auf dem Boden der Truhe lag noch ein kleines schlichtes Kreuz aus Silber mit einer Gravur auf der Rückseite. »Von Giovanna für meinen geliebten Bruder Giacomo«, stand da auf Italienisch. Aber auch hier kein Tagebuch. Nicht einmal eine Spur davon. Stefano faltete alles wieder ordentlich zusammen und legte es in der richtigen Reihenfolge in die Truhe zurück, dann ließ er sich ratlos auf den Boden sinken. Zwei Gefühle stritten miteinander: Einerseits war er erleichtert, dass er nichts gefunden hatte. Wenn er kein Tagebuch fand, hieß es dann nicht, dass Pater Giacomo unschuldig war? Andererseits hielten die Zweifel ihn immer noch in ihren Klauen gepackt und forderten ihn auf, weiterzusuchen. Stefano überlegte und überlegte. Sein Kopf dröhnte, er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Aber er musste! Wenn er jemals die Zweifel, den grausamen Verdacht beseitigen wollte, dann musste er dieses verflixte Tagebuch finden.
Er atmete tief durch und rieb sich die Schläfen. Wie hatte er auch annehmen können, dass Pater Giacomo das Tagebuch in einer Truhe versteckte, die jeder öffnen konnte? Aber wo sollte es sonst sein, wenn nicht im Bett oder in der Truhe? Die Steinfliesen waren so schwer, dass sie kein Mann allein hätte hochheben können. Die Wände waren glatt verputzt. Und ein anderes Versteck gab es nicht.
»Denk nach, denk nach!«, forderte Stefano sich selbst auf und schlug sich mit der Faust gegen die Stirn.
Es war ein Gefühl, als würde er mit einem Hammer gegen seinen Kopf schlagen, doch offenbar half es, denn plötzlich fiel ihm etwas ein. Vor einiger Zeit hatten Pedro, Carlos, Pater Giacomo und er selbst das Haus eines Angeklagten durchsucht . Stefano konnte sich nicht mehr daran erinnern, um welchen Angeklagten es sich gehandelt hatte, dafür waren es in den letzten Wochen und Monaten zu viele gewesen. Aber das spielte jetzt auch keine Rolle. Wichtig waren nur Pater Giacomos Worte, als sie die Truhen und Schränke des Angeklagten durchsucht hatten. »Achte auf jede Ritze, jeden Vorsprung und jede Kerbe im Holz, Stefano«, hatte er gesagt. »Und versuch genau abzuschätzen, ob die Truhe wirklich von innen ebenso groß zu sein scheint wie von außen. Diese Araber sind Meister der Täuschung und Fälschung. Sie versehen ihre Möbel gerne mit Geheimfächern.«
Stefano hörte diese Worte, als würde Pater Giacomo direkt neben ihm stehen. Und dann erinnerte er sich daran, wo sein Mentor seine Truhe gekauft hatte – auf einem Basar in Damaskus . Er besah sich die kleine Holztruhe genauer. Und je länger er sie betrachtete, umso mehr glaubte er, dass sie innen tatsächlich kleiner zu sein schien, als von außen. Erneut nahm er ihren Inhalt heraus. Er klopfte den Boden der Truhe ab, betastete alle Ecken, ja, er stellte sie sogar auf den Kopf. Täuschte er sich nur, spielten ihm seine Sinne einen Streich oder klang der Boden tatsächlich an einigen Stellen hohl? Noch während er auf dem polierten Holz herumdrückte und nach Vorsprüngen und Kerben suchte, gab es plötzlich ein klickendes Geräusch, und der Boden der Truhe schob sich ein Stück nach vorn wie eine Schublade. Vor Schreck hätte Stefano die Truhe beinahe fallen lassen. Also besaß Pater Giacomo tatsächlich ein Geheimfach. Wozu aber sollte es ihm nützen, wenn er nichts zu verbergen hatte?
Stefanos Hände zitterten, als er die Schublade herauszog. So wie er sie jetzt in der Hand hielt, entpuppte sie sich als schmaler Holzkasten mit einem Schloss. Stefano stöhnte auf. Er hatte doch schon Pater Giacomos Zelle durchsucht und nirgendwo einen Schlüssel gefunden. Wenn er ihn immer bei sich trug? Noch während er überlegte, fiel sein Blick auf das Kreuz an der Wand, und ohne sich erklären zu können, weshalb , stand er auf, um es sich genauer anzusehen. Es wirkte wie ein Fremdkörper an den kahlen Wänden. Es war so aufwändig gearbeitet, so kostbar geschnitzt und so groß, dass es wohl eher in die private Kapelle einer vornehmen Familie als in die bescheidene Zelle eines Mönchs gepasst hätte. War auch dieses Kreuz nur ein Erinnerungsstück, das Pater Giacomo mit seiner Familie verband – so wie das silberne Kreuz seiner Schwester oder das Porträt des jungen Mädchens? Oder …
Stefano runzelte die Stirn. War da nicht ein schmaler, kaum sichtbarer Spalt zwischen dem Gekreuzigten selbst und dem Kreuz? Er steckte seinen Fingernagel hinein und stellte verblüfft
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