Die Feuer von Córdoba
über Stunden, vielleicht sogar Tage hinzog?
Stefano stützte sich auf den Tisch, und Tränen rannen ihm über das Gesicht.
»Bitte, Herr, nein! Ich kann das nicht. Ich kann doch nicht meinen eigenen Lehrer …«
Er war kurz davor, die Grütze in den Eimer zu schütten, in dem die Essensreste für die Schweine gesammelt wurden. Doch es war, als hielte ihn im letzten Augenblick eine Hand zurück. Er dachte an das Tagebuch und all das Schreckliche, das Pater Giacomo getan hatte. Es gab viele Menschen, die ihn bis aufs Blut hassten. Irgendwann würde es einer von ihnen tun. Doch bestimmt würde keiner von ihnen bis zum Schluss bei ihm bleiben und für ihn beten.
Stefano wischte sich mit dem Ärmel seiner Kutte die Tränen weg und verstaute die leere Flasche wieder in dem Lederbeutel . Dann trug er die Schüssel zu Pater Giacomo in die Schreibstube.
»Ah, Stefano!« Pater Giacomo richtete sich auf dem Lehnstuhl auf und rieb sich das Gesicht. Offenbar war er ein wenig eingenickt. »Du bist schon zurück?«
»Ich habe Euch Grütze mit Kräutern und Erbsen gemacht, Pater«, sagte Stefano und fragte sich, ob nicht das schlechte Gewissen ihm deutlich im Gesicht geschrieben stand, ob nicht vielleicht sogar in leuchtend roten Lettern das Wort » Giftmischer « auf seiner Stirn prangte. »Esst. Es wird Euch gut tun.«
Er musste sich selbst zwingen, daran zu glauben. Er musste sich zwingen, daran zu glauben, dass das Drachenöl kein Gift, sondern vielmehr ein Heilmittel war, das die vom Elixier der Ewigkeit vergiftete Seele reinigen würde. Denn wie sollte er sonst mit dem Gedanken weiterleben, seinen eigenen Mentor und Lehrer, den Mann, der für ihn sein ganzes Leben hindurch wie ein Vater gewesen war, vergiftet zu haben?
Pater Giacomo beugte sich über die Schüssel, blies den Dampf fort und begann zu essen, Löffel für Löffel, ohne aufzublicken , bis die Schüssel leer war.
»Das tat wirklich gut, mein Sohn«, sagte er und lächelte. Dann holte er tief Luft. »Ich bin müde. So müde.«
»Ich bringe Euch in Eure Zelle, Pater«, sagte Stefano, nahm ihm bereitwillig die Schüssel ab und half ihm beim Aufstehen.
»Ich muss mir zu viel zugemutet haben«, sagte Pater Giacomo , während sie langsam den Flur entlang zu der schmalen Wendeltreppe gingen, die in das Dachgeschoss zu ihren Kammern führte. »Ich fühle mich wie ein alter Mann. Ich weiß, ich sehe nicht so aus, mein Gesicht wirkt jung, mein Körper ist kräftig. Doch ich bin es, Stefano, ich bin ein alter Mann. Und gerade jetzt spüre ich das Alter in jedem meiner Knochen.«
Stefano wusste nicht, was er sagen sollte. Ob das Drachenöl bereits zu wirken begann?
»Legt Euch hin, Pater«, erwiderte er schließlich. »Dann wird es Euch bestimmt besser gehen.«
»Ja, bestimmt«, sagte Pater Giacomo und stützte sich schwer auf Stefano, während sie langsam Stufe für Stufe die steile Wendeltreppe emporstiegen. Als sie endlich den Flur mit ihren Zellen erreicht hatten, keuchte und hustete er wie ein Schwindsüchtiger.
»Nur noch ein paar Schritte, Pater«, sagte Stefano. Mittlerweile trug er Pater Giacomo fast, und er schwitzte vor Anstrengung . Dann endlich waren sie am Ziel. Stefano stieß die Tür mit dem Ellbogen auf und schleppte Pater Giacomo zu dem schmalen Bett. Vorsichtig setzte er ihn darauf ab, dann zog er ihm die Sandalen von den Füßen und half ihm, sich auszustrecken.
»Seltsam, Stefano, plötzlich fühle ich jedes einzelne Jahr auf mir lasten. Jedes einzelne. So habe ich noch nie zuvor empfunden. Woher das wohl kommen mag?«
Stefano spürte, dass er errötete. Dann sah er Pater Giacomo an. Er sah ihm in die Augen.
»Das ist bestimmt eine Folge des Drachenöls, Pater.«
Anfangs malte sich Erstaunen auf dem Gesicht seines Lehrers. »Du?«, fragte er fassungslos. Dann flackerte maßloser Zorn in seinen Augen auf, und er packte Stefano am Kragen. »Du hast mir … Wo hast du es her? Los, sprich!«
»Meine Mutter, Señora Anne, hat es mir heute Morgen gegeben. Cosimo, Eurem alten Freund, mit dem Ihr auch das Elixier der Ewigkeit gebraut habt, ist es gelungen, das Drachenöl herzustellen. Ich …«
Weiter kam er nicht.
»Du Dummkopf!«, kreischte Pater Giacomo. »Du hirnloser Narr! Gib mir sofort die Flasche mit dem Blut Christi. Sie ist in der Ledertasche auf dem Stuhl. Ich muss das heilige Blut trinken. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, vielleicht kann ich mich warnen …«
Er streckte die Hand danach aus, doch Stefano riss die Tasche
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